Zähl die Schafe rückwärts

Die Veranstaltung

Was: Zähl die Schafe rückwärts
Wo: Bühne S, Zürich
Wann: 01.11.2014
Bereich: Theater

Der Autor

Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)

Die Kritik

Lektorat: Sarah Bleuler.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: klima das theater (siehe Unabhängigkeit).

Von Christian Felix, 2.11.2014

Moderne Hamster im Rad

Die Zeit ist eine Bestie. Man läuft ihr ständig hinterher und merkt nicht, dass sie einem im Nacken sitzt. Das junge Paar Calvin (David Zimmering) und Sabrina (Eveline Ketterer) hechelt durch einen stressigen Alltag, so wie ein Hamster in seinem Rad läuft und läuft und nicht vorankommt. Ihr Tagesablauf ist auf die Minute genau durchgetrimmt, die Hausarbeit ist säuberlich aufgeteilt. Die Szenen, in denen dies alles erzählt wird, gehen einem unter die Haut – so wie es die Theatermacher in ihrer Ankündigung versprechen.

Beziehungsklima

Besonders Sabrina ist immer auf Trab. Sie ist für Werbekampagnen zuständig. Selbst ihre Entspannungsübungen erfolgen unter Leistungsdruck. Zu Hause gibt es nur Fertiggerichte vom Asiaten. Der Chemiker Calvin wiederum steckt seine ganze Freizeit – als ob es sowas noch gäbe! – in die Entwicklung eines Wundermittels. Dieses soll die Schlafintensität erhöhen, den Schlaf verkürzen und so Zeit frei schaufeln. Vier Stunden täglich! Sabrina ist begeistert. Sie überredet ihren Mann dazu, seinen Job als gewöhnlicher Laborangestellter an den Nagel zu hängen und die Selbständigkeit zu wagen. Sie ist bereit, noch mehr zu leisten, um Calvin zu unterstützen. Dies jedoch setzt Calvin unter Erfolgszwang. Er muss den Preis für seine Erfindung gewinnen.

Somit ist die dramatische Situation geschaffen, die sich nun auf der Bühne entwickelt. Hat Calvin Erfolg oder scheitert er? Das ist der Spannungsbogen, der das Stück zusammenhält. Nun trägt der Ausgang chemischer Experimente noch keine Bühnenhandlung. Doch die Experimente weisen über sich hinaus. Mit der Chemie verknüpft ist die Chemie zwischen Calvin und Sabrina. Man könnte auch vom „Klima“ der Beziehung sprechen. Die Theaterformation, die „Zähl die Schafe rückwärts“ auf die Bühne bringt, nennt sich denn auch „klima“. Sie will im Theater Menschen in ihren Beziehungen lebendig werden lassen.

Psychologische Raffinesse

Das Verhältnis Sabrinas und Calvins ist in der Tat auf lebhafte Weise komplex und psychologisch geschickt gezeichnet. Calvin ist in der Rolle des Herrchens. Er mixt cool und kühn seine Substanzen, lässt dabei ungerührt seine Frau schwere Kisten über den Boden schleifen. Calvin, das Herrchen, ist aber bei weitem nicht Herr der Situation. Es ist Sabrina, die ihn antreibt, seinen Ehrgeiz anstachelt und ihn kontrolliert, als wäre er bloss eine Versuchsratte. Tierchen dieser Art – nämlich Labormäuse – kommen auch ins Haus. Das Paar führt wohl ein politisch, sexuell oder weiss der Himmel wie korrektes Leben. Doch angesichts des Preises, der da winkt, verpuffen alle Grundsätze.

Was ist der Preis des Erfolgs? Wie sich im Verlauf des Stücks herausstellt, ist er höher als sich die beiden im Traum vorstellen können. Calvin findet das Wundermittel. Das Paar versucht es an sich selbst. Die Folgen sind fatal. Wohl zeitigt das Sabrinalin, wie es Calvin tauft, die versprochene Wirkung. Aber dabei bleibt es nicht. Calvins Gebräu bringt beide auf den Trip, wobei das Bühnenstück subtil genug ist, um offen zu lassen, ob die Verwirrung, das Pendeln zwischen Realität und Traum, allein eine Folge der chemischen Substanz ist. Die Beziehung der beiden gerät ebenso auf eine abschüssige Bahn. Sabrina, die Herrschende, will sich dem manipulierten Cavin sadomasochistisch unterwerfen. Ihr Mann entpuppt sich bei diesem Spiel zunächst als ganz und gar unbeholfen. Die Szene ist eine der vielen humorvollen Stellen im Stück. Nichtsdestotrotz führt die Handlung gegen Ende zielstrebig in die Katastrophe.

Ende gut und tragisch

Bei aller Dramatik schleppt sich die Handlung von „Zähl die Schafe rückwärts“ etwas zäh voran. Man staunt selbst über diesen Eindruck, denn der Autor und Regisseur Dietmar Paul, ursprünglich Drehbuchautor, versteht es, eine Geschichte in Bildern und Szenen zu erzählen. Ausgerechnet als Calvin endlich den CD-Recorder in der Wohnung repariert hat und mächtig stolz auf sich ist, bringt Sabrina ein neues Gerät ins Haus. Man könnte kaum schöner zeigen, wie das Selbstbewusstsein des Mannes förmlich zerbröselt. Der arme Kerl ist durch das ganze Stück hindurch hypernervös und der Hysterie nahe. Daran gewöhnt man sich. Das Hamsterrad auf der Bühne dreht sich immer schneller, Calvin bleibt stehen und stets auf derselben Frequenz. Sein Schauspiel kann sich so nicht entfalten. Sabrina hat mehr Glück. Ganz am Ende des Stücks ist ihr ein Rollenwandel gegönnt. Und wirklich: Erst jetzt wird deutlich, wie überzeugend sie die ganze Zeit die Karrierefrau gespielt hat. Dass sie im tragischen Schluss einen schauspielerischen Glanzmoment hat, versöhnt einen mit der Aufführung. Dazu kommt die Leistung, mit wenig Mitteln, sozusagen in Handarbeit, auf kleiner Bühne ein glaubwürdiges Drama über die Zeit in unserer Zeit in Szene zu setzen.

 

 

 

 

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