Youtopia. Der Gipfel des Glücks.

Die Veranstaltung
Was: Youtopia
Wo: Theater der Künste, Bühne A
Wann: 07.05.2014 bis 09.05.2014
Bereiche: Gesellschaft, Theater
Der Autor
Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)
Die Kritik
Lektorat: Anja Wegmann.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Christian Felix, 9.5.2014
Youtopia ist ein Theaterstück, auch wenn die Aufführung alle gängigen Erwartungen an ein Theaterstück über den Haufen wirft. Es verändert die gewohnte Perspektive allein schon dadurch, dass es nicht zu einem Publikum spricht, sondern zu dir, also zu einem Individuum. Youtopia – der Titel deutet es an. Das Stück vermittelt dir einen Parcours von Erlebnissen. Einen geschickt gestalteten Rundgang in – und dies ist wiederum ganz klassisch – fünf Akten.
Gestänker und Gruppenspiel
Youtopia ist als Forschungsveranstaltung auf der Suche nach dem Glück – deinem Glück – angelegt. Zuerst bekommst du etwas zu essen und Wein zu trinken. Du setzt dich mit den anderen Besucherinnen und Besucher an eine U-förmige Tafel. Drei Speisen stehen zur Wahl. Als das Mahl begonnen hat, führen sechs Figuren ein Stück auf. Es spielt auf einer Art Balkon, weit oben über dem Bühnenraum, und erinnert in seiner Inszenierung an ein Puppentheater. Drei Schwestern und ein Bruder leben in der sibirischen Taiga. Sie haben zwei Besucher. Man stänkert herum. Allen geht es mehr oder minder schlecht. Das Leben geht freudlos vorbei und kommt nie wieder zurück. Das Vertrauen zueinander ist verflogen. – Die Szene ist gut geschrieben. Sie würde für sich allein den Besuch von Youtopia aber noch nicht lohnen. Dazu ist sie schauspielerisch zu wenig ausgereift und zum Teil schlecht artikuliert.
Dann wird die Sitzung aufgelöst. Je nachdem, was du gegessen hast, landest du in der einen oder anderen Gruppe. Hattest du Couscous, wirst du von einem Mann und einer Frau ganz lieb gedrückt und darfst mit Knete spielen. Der Doppelsinn des Worts ist gewollt; das Spiel heisst nämlich «bedingunsloses Grundeinkommen». Die Spielgruppe tauscht sich aus, verhandelt über Knete und Meinungen. Die in Bühne und Zuschauerraum geteilte Welt ist hier vergessen, nicht aber das Schauspiel an sich. Die beiden Spielleiter wirken in ihren Rollen authentisch. Ausserdem zeigt das Knetspiel einen ästhetischen Gestaltungswillen. Es ist in den Farben Orange und Blau gehalten. – Die Sache hat zwar etwas von einem Kindergarten. Aber das passt. Das Theater als sittliche Anstalt, die du mit Anzug und Krawatte betrittst, hat ohnehin längst Staub angesetzt.
Leichte Unterhaltung und Laborforschung
Für dich als Couscous-Esser geht es nun im Bühnenraum weiter. Hier darfst du aufessen und austrinken, was du stehen gelassen hast, während dir lockere Unterhaltung geboten wird. Du bist in einem Variété. Du isst, schaust hin, wenn es dich gerade interessiert. Es ist nicht so wichtig, was da geboten wird: schwelgende Lieder, simple Witze über das Geschlechterverhältnis, politisch etwas korrigiert. Die Conférencière bietet dazu laszive Posen. – Eine ausgelassene Stimmung kommt dabei nicht auf. Das Ganze ist eher die Verhöhnung einer Show. Als echte Unterhaltung ist die Szene zu wenig professionell.
Dann kommst du ins Glücklabor, darfst dich auf Pritschen entspannen, etwas Musik hören, dazu die Erklärungen des Laborleiters. Sein Overall, die Pritschen, Leuchtrohre – alles ist schneeweiss. Statt Bühnendeutsch spricht der Forscher ein stark vom Dialekt gefärbtes Hochdeutsch und gibt gekonnt den eidgenössischen Beamten. Seine Assistentin behandelt er nach alter Schule als unwissendes Dingsda, während du einen Fragebogen ausfüllst und Zeichnungen machst wie bei einem Psychiater. Die psychologische Analyse der Skizzen lautet am Ende für alle gleich: In der Zukunft wartet auf dich der Tod. Glasklar und schneeweiss.
Glück aus Urzeiten
Zurück ins Plenum. Hier folgt ein Lehrstück. Ein Bär und ein Neandertaler tragen es gestenreich vor. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier, weil … – aber das hier zu referieren, würde zu weit führen. Immerhin soviel: Menschen sind ausgesprochen soziale Wesen. Die Beziehungen unter ihnen sind so vielfältig, dass sich daraus einzigartige Fähigkeiten entwickeln. Diese sind die Voraussetzung der menschlichen Zivilisation. Dein Glück fusst also auf dem Zusammenleben in einer Gemeinschaft. – Du bist umso mehr bereit, das zu glauben, als Bär und Urmensch ein amüsantes pantomimisches Spiel vorführen.
Natürlich bietet Youtopia keine Antworten auf Fragen des Glücks. Das Stück zeigt aber ganz eindrücklich Forschungsfelder auf. Vertrauen, Einkommen, Geschlechterverhältnis, Gesundheit … Youtopia ist ein «Gipfel des Glücks» und somit ein ehrgeiziges Projekt. Auch wenn die jungen Macher da und dort an ihre Grenzen stossen, gelingt es als Ganzes. Es vermittelt den Teilnehmenden einen ganzen Strauss bunter Erfahrungen. Im Übrigen darf man auch die Küche loben. Auch Glück geht manchmal durch den Magen.
Youtopia ist ein Stück von und mit: Katharina Cromme, Anna-Katharina Müller, Christoph Rath, Silvan Kuhl, Fabian Gutscher, Piet Baumgartner, Sabina Reich, Andreas Bürgisser, Urs Humbel und Agota Dimen.