Von Träumen und Todessehnsüchten einer Generation

Die Veranstaltung
Was: Von Träumen und Todessehnsüchten einer Generation
Wo: Internationale Kurzfilmtage Winterthur
Wann: 04.11.2014 bis 09.11.2014
Bereiche: Film+Fotografie, Internationale Kurzfilmtage Winterthur 2014
Kurzfilmtage Winterthur
Kulturkritik ist Partner der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur 2014. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Martina Felber: geboren 1987, lebt in Zürich. Studiert derzeit im Masterstudiengang «Kulturpublizistik» an der Zürcher Hochschule der Künste.
Die Kritik
Lektorat: Julia Stephan.
Von Martina Felber, 17.11.2014
Der französische Regisseur Yann Gonzales war die «Die Person im Fokus» der diesjährigen Internationalen Kurzfilmtage Winterthur. Spätestens seit seinem Auftritt am Festival in Cannes 2013 mit dem ersten Langspielfilm «Les Rencontres d’après minuit» wird er in Frankreich als neues, grosses Talent gehandelt. Die von Simon Späni kuratierte Retrospektive zeigte in zwei sehenswerten Programmblöcken das unkonventionelle Kurzfilmschaffen. Die Filme zeugen von Tempo, Poetik, vom exzessiven Spiel mit Sexualität und Gewalt und offenbaren eine nostalgische Haltung zur Jugend.
Sehnsucht, Leidenschaft, Angst und kollektive Selbstzerstörung bilden nur eine Auswahl an Schlagwörtern, die Gonzales der jungen Generation in seinen Filmen einverleibt. Diese ist irgendwo zwischen unerfüllten Träumen und existentieller Unsicherheit gefangen. Wir erleben virtuos umgesetzten Lebenshunger («Nous ne serons plus jamais seuls»), spüren Todessehnsüchte («Les Astres Noirs») und sehen uns beim Anblick der Helden in die Vergangenheit zurückversetzt, als wir noch selber in den Tag hinein lebten und versuchten, die Zeit totzuschlagen («Entracte»). Die Symptome sind uns bekannt. Mit seiner experimentierfreudigen Filmsprache fordert uns der Regisseur aber immer wieder aufs Neue heraus.
Wie kein anderer hält «Entracte» in fünfzehn Minuten an der Jugend fest. Kate und Salvatore wünschen sich ihren toten Freund herbei. Ihre Gespräche wirken künstlich und kalt, der amerikanische Akzent der Schauspielerin Kate Moran verstärkt dabei den Stilisierungseffekt des französischen Dialogs. Ihre Blicke gelten nicht den Gesprächspartnern, sondern sind frontal auf die Kamera gerichtet. Die Zuschauer werden so von den Schauspielern zum Voyeurismus gezwungen. Salvatore bricht derweil ständig mit der Diegese. Er bekräftigt, die Filmbilder (=Jugend) festzuhalten bis er schliesslich die Begegnung mit dem Toten veranlasst. Und dann lässt Gonzales seine Charaktere aus ihrem Innersten ausbrechen, wie hier Kate, deren Verzweiflung sich in Perversion entlädt.
Stilisierte Welten im Niemandsland
Im Rahmen der Kurzfilmtage äusserte sich Gonzales zur Bedeutung des Horrorfilms in seiner Kindheit. Diese Faszination hat er sichtbar auf sein filmisches Schaffen übertragen. Kontrastreiche Filmbilder mit Rundblenden erinnern an Murnaus «Nosferatu». Wie lebensmüde Vampire blicken die Teenager aus «Nous ne serons plus jamais seuls» dem Sonnenaufgang entgegen. Bei Retro-Ästhetik und künstlichem Dekor in «Les Astres Noirs» lassen sich die Helden in gedämmtem Licht durch eine hochstilisierte Landschaft von abstrakten Felsstränden (ver-)führen. Die kulissenhafte Traumwelt, die den Tod der Figuren einläutet, erleidet einen Bruch, als sich ein Jugendlicher, den Lebensmut zurückgewonnen, mit einem Messer aus der Pappwelt in das natürliche Licht einer Aussenaufnahme befreit. Weiter beheimaten urbane Orte wie Klubkeller, Schulplätze oder Mauerwände kurzfristig die jungen Helden und ihre Sehnsüchte.
Tanzend durch die Nacht, die uns gehört
Eine tragende Instanz seiner Filme bildet die Musik, produziert vom Bruder des französischen Filmemachers. Die Intensität und die Sogwirkung, welche die elektrisierende Musik von M83 in Korrelation mit den Bildern erzeugt, reisst uns vollends in die (Traum-)Welten der filmischen Schicksalsträger. In seinem sinnlichen Erstling «By the Kiss» lässt er Muse Kate Moran zu einem bestechenden Klangteppich über fünf Minuten lang aufs Eindringlichste von verschiedenen Personen küssen. Von Kuss zu Kuss wird sie fragiler, da die Sehnsucht nicht zu stillen ist. Und wenn die Musik anschwillt, um danach brutal abzubrechen, hat die innere Zerrüttung ihren Höhepunkt erreicht. «Nous ne serons plus jamais seuls» ist ein pulsierendes Musikvideo, das ebenso gänzlich auf Dialoge verzichtet. Verlangsamte Aufnahmen in Super-8-Qualität, kombiniert mit rhythmisierten Schnitten, begleiten die vielschichtig durchlebten Gefühlszustände einer Gruppe Jugendlicher, während sie ekstatisch feiern. Nicht zufällig bezeichnet der Titel des Films «Entracte» ein musikalisches Intermezzo. Hier ist es einmal mehr das hemmungslose Tanzen zur eingespielten Musik, das hilft, über den Verlust eines guten Freundes hinwegzutrösten und die Jugend bis in die tiefe Nacht zu zelebrieren.