Das Spiel mit der Sorgepflicht

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Tom Bola 9: Martha Martha
Wo: Kolinplatz 21, 6300 Zug
Wann: 22.08.2014 bis 06.09.2014
Bereiche: Bildende Kunst, Digitale Medien

Der Autor

Florian Bissig: Jahrgang 1979. Studium der Philosophie und Anglistik (Doktorat). Kulturjournalistische Beiträge in Tageszeitungen und anderen Periodika.

Die Kritik

Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Tom Bola (siehe Unabhängigkeit).

Von Florian Bissig, 25.8.2014

«Tom Bola» heissen und Kunst mit dem Würfel kuratieren: Das klingt wie eine Provokation an die Adresse der Mächtigen der Kunstwelt, der Kuratoren. Götter würfeln doch nicht! Was für ein Frevel! Kuratieren heisst doch, die «cura» zu erbringen, die Sorge, Pflege und Betreuung. Beim Kuratorenkollektiv «Tom Bola» regiert hingegen der Zufall und somit ein spielerisches Element, sowohl bei der Ermittlung des Ausstellungstitels wie bei der Auswahl der Kunstschaffenden.

Den Zufall kuratieren

Für die Ausstellungsreihe am Kolinplatz in Zug werden die Spielwürfel allerdings behutsam gezinkt: Die Kunstschaffenden werden vorgängig auf ihre Kompatibilität zum Ausstellungsthema ausgewählt, und die Herkunft der Künstler beruht eher auf Förderalismus als auf Aleatorik. Bei «Tom Bola» dürfen alle Kantone (irgendwann) einmal. Gesetzt ist ferner ein Quoten-Zuger.

Strikte zufällig, und zwar in einem exklusiven Tombola-Event, werden dagegen die Ausstellungstitel ermittelt. Das Substrat der durch die Tombola purzelnden Titelkandidaten stammt von der Bevölkerung, die in der Zuger Altstadt ein paar Wochen lang die Gelegenheit hatte, ihre Vorschläge auf Plakate zu schreiben. Da die Passanten die Sache nicht selber ausbaden müssen, schreiben sie natürlich frisch von der Leber weg allerlei Unmögliches auf die Plakate. Der Gewinner der aktuellen Ausstellung lautet «Martha Martha».

Nach der Vor-Phase, in der vor allem der Zufall kuratiert wurde, galt es dann ein wenig loszulassen und den drei Pfleglingen die nötige Freiheit zu lassen, sich zum Thema «Martha Martha» entfalten zu können. Die zufällig ausgewählten Künstler Jonas Burkhalter (Zug), Tarik Hayward (Waadt) und Lucas Herzig (Tessin) konnten während vier Wochen den Ausstellungsraum als Arbeitsplatz nutzen.

Negation und Doppelung als Exerzitium

Jonas Burkhalter geht etwas gar schnörkellos auf den Ausstellungstitel ein. Mit einer Konstruktion über der Eingangstüre, die in gleicher Form in den Raum und auf die Strasse ragt, spielt er mit der Negation und der Doppelung. Der Eingang ist verdoppelt, indem der Ausgang negiert und als Eingang umgedeutet wird. «Welcome, welcome» ist der Titel des Werks, das ein Vordach evoziert, zugleich aber negiert, da es nur ein Mantel ohne Dach ist.

Daneben hängt eine fotografische Reproduktion eines Stücks Kohlepapier aus dem Nachlass von Burkhalters Grossmutter Marta [sic], die damit Bauernmalereimuster auf Möbel übertrug. Die Blumen- und Ranken-Ornamente überschreiben sich durch das wiederholte Durchpausen gegenseitig und vervielfältigen sich zu einer dichten Zeichnung voller Symmetrien – so wollte es der Zufall. Negation, Doppelung, Martha, Zufall: Das gibt die volle Punktzahl.

Im selben Raum trifft Lucas Herzigs Skulpturen-Ensemble auf Burkhalters Konstruktion. Auch sein Werk ist ganz in Schwarz und Weiss gehalten. Herzig hat die Oberflächenstruktur der Böden und Wände durch Frottage auf Papier übertragen und mit diesem seine sperrigen Skulpturen überzogen. In nächster Nähe Raum abtastend hat er sein Arbeitsumfeld abgebildet. Auch das Holz ist Abfallmaterial, das ihm vor Ort in die Hände fiel.

Das Resultat sind drei Skulpturen, die an Architekturmodelle erinnern, aber zugleich, da ihre Oberfläche wie Marmor-Imitat aussieht, eigenständige Monumente zu sein beanspruchen. Sie oszillieren zwischen der Andeutung von etwas Grösserem und einer baulichen Wirklichkeit eigenen Rechts. Man könnte interpretieren: Sie negieren sich je als das andere, das sie selbst sind. Genau so wie «Martha», die sich durchstreicht und wieder einschreibt. 

Eine Figur zum Frösteln und Schaudern

Während Herzig vier Wochen in den Räumen knochenhart gearbeitet hat, hat Tarik Hayward die Zeit für sich arbeiten lassen. Er hat einen Block aus Sägespänen und Wasser tiefgefroren. Die Skulptur wird in den kommenden Wochen langsam vor sich hinschmelzen und dabei zugleich den Raum kühlen. Der mannshohe Block hat etwas unwiderstehlich Kräftiges (was er aufgrund des Materials, das Pykrete heisst und für kriegerische Zwecke entwickelt wurde, offenbar tatsächlich ist) – das zugleich vergänglich ist und seinem Ende zutröpfelt. Der Titel «Some Body» leistet ein Zusätzliches, um die Ambiguität zwischen Jemand und Etwas ins Spiel zu bringen.

Burkhalter, Herzig und Hayward haben gewiss alle, ganz erwartungsgemäss, mit dem Raum gearbeitet. Sie alle «verdoppeln» in gewisser Weise die Location, die übrigens bald «negiert» wird wenn nächstes Jahr die Abrissbirne kommt. Das ist alles reichlich anstrengend. Dies dürfte der Preis des aleatorischen Kuratoriums sein: Eine Einheit vermögen die wenigen Objekte dieser Gruppenausstellung nicht so richtig zu bilden, insbesondere mit Blick auf Haywards Skulptur. Der «Some Body» ist auch räumlich abgesondert: Es steht im Hinterzimmer zwischen WC und Rumpelkammer. Gerade in dieser düsteren, feuchten Kapelle (so will es scheinen), entfaltet die Skulptur eine auratische Wirkung. In ihr spiegelt sich die erschauderne Einsicht, die ein Jemand namens Martha gehabt haben könnte: Ich bin und ich bin nicht.

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