Schwarze Spuren

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Marcelo Evelin & Demolition Inc.: Suddenly Everywhere Is Black with People
Wo: Theater Spektakel, Werft
Wann: 19.08.2014 bis 20.08.2014
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2014

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2014. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Carmen Beyer: geboren 1986 in Berlin-Brandenburg, derzeit Studentin im Masterstudiengang «Kulturpublizistik» an der Zürcher Hochschule der Künste.

Die Kritik

Lektorat: Tabea Buri.

Von Carmen Beyer, 30.8.2014

An unseren Sachen klebt schwarze Farbe. An der Jacke, Hose, manchen an den Händen und im Gesicht. Überall diese dunklen Flecken und Streifen. Es sind die Spuren einer Berührung, die meist unvollendet blieb, manchmal vermieden, manchmal gesucht wurde. Und es sind Spuren einer Erfahrung, die sinnlicher und eindrücklicher kaum an einem Performanceabend entstehen kann.

Beobachtender und Beobachteter

Als wir Zuschauer in das Foyer der Werft gelassen werden, ist dieses bereits bis auf ein spärlich beleuchtetes Bühnenquadrat abgedunkelt. Hängende Röhrenlampen, die einzigen Lichtquellen, trennen das Quadrat von dem Rest des Raumes ab, deuten den Schauplatz des Abends an. Hilfskräfte weisen uns dazu an, die Taschen an den Seiten zu deponieren. Wieso? Weil wir nicht auf einer Zuschauertribüne platziert werden, sondern in das Quadrat eintreten sollen. Zu ihnen.

Ihnen, das sind die fünf Tänzer der Künstlergruppe «Demolition Inc.» um den brasilianischen Choreografen Marcelo Evelin. Zur wabernden elektronischen Soundkulisse tauchen sie in der Performance «Suddenly Everywhere Is Black With People» plötzlich neben uns in einem Eck des Quadrats auf. Vollständig schwarz bemalt; sie sind ein menschlicher Knoten aus ineinander verschlungenen Armen, Beinen, irgendwo Köpfe, der sich mit trippelnden, gleichmässigen Schritten entlang des Bühnenquadrats auf uns zu bewegt. Wir weichen ihm aus, sodass es aussieht als ziehe sich schwarzes Gebilde durch bunte Materie. Erst reissen Lücken auf, die sich sofort wieder schliessen. Nie weichen wir vom Rand, nie rücken wir zu weit in die Mitte, nie vereinzeln wir uns.

Das Fremde & Andere unter uns, an uns

Wir reagieren damit, wie es Schriftsteller Elias Canetti an den Beginn seiner anthropologischen Schrift «Masse und Macht» schrieb: «Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.»In dem Werk von 1960, das auch Evelin als Inspirationsquelle für seine Performance verwendet, interessierte sich Canetti für die Dynamik von Menschenmassen. Wenn sich Menschen zu einer Masse zusammenscharren, vollziehen sie damit nicht einfach eine politische, gesellschaftliche Bewegung. Sie ahmen einander nach – ein Phänomen, das nicht nur eine menschliche sondern eine universelle Erscheinung ist. Die Masse erzeugt ein verbundenes Raumerlebnis, also eine physische Erfahrung.

In «Suddenly Everywhere Is Black With People» wird diese Erkenntnis zu einem sinnlichen Erleben übersetzt und dafür alle sonstigen Rollenzuschreibungen aufgehoben. Wir sind nicht Zuschauer ausserhalb des Bühnenraums, sondern Hauptakteure auf der Bühne, werden beständig von den schwarzen Gestalten beobachtet, reagieren auf ihre Bewegungen mit unserem eigenen Körper. Und wir beobachten uns gegenseitig bei unseren Reaktionen. Wir nehmen wahr, wie ein schleichender Wechsel in unseren Handlungen entsteht und die schwarze Masse aus Tänzern weniger bedrohlich erscheint und das wenige Licht es zulässt, schwarz von schwarz zu unterscheiden bis im Menschenknäuel Augen, Haare, Münder, Busen und andere körperliche Feinheiten erkennbar werden.

Evelin & Demolition Inc. bieten so eine Antwort und einen Ausweg aus der Furcht vor dem bedrohlichen Unbekannten und seiner Berührung: Indem wir ihm entgegen gehen, uns nicht vom Anderen entfernen sondern nähern, bis wir ihm so nahe sind, dass sein Anderssein aufhört. Es ist die Stärke des Abends, all diese Ebenen in einer so simplen und unangestrengten wie eindrücklichen und poetischen Performance darzustellen, dass wir uns danach zutiefst berührt fühlen und die schwarze Farbe der Tänzer bei unserer Berührung abfärbt. Und sie eine Spur hinterlässt auf unserer Kleidung, in unserer Haltung.

Weiterlesen: