Sarah macht die Kinder froh...

Die Veranstaltung
Was: Sarah Hakenberg – Struwwelpeter reloaded
Wo: Im Hochhaus, Limmatplatz
Wann: 25.04.2014 bis 26.04.2014
Bereich: Theater
Die Autorin
Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.
Die Kritik
Lektorat: Simone Leibundgut.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Migros-Kulturprozent (siehe Unabhängigkeit).
Von Esther Becker, 27.4.2014
Den brutalen Bilderbuchklassiker neu zu interpretieren, ist eigentlich ein alter Hut. Das weiss Sarah Hakenberg und präsentiert zu Beginn ihres dritten Soloprogramms «Struwwelpeter reloaded» ein Best-Of des Remakes: Den «Struwwelhitler» der 40er aus den USA (in Deutschland nicht so beliebt), die «Struwwelliese» aus den 50ern (die langweiligerweise am Ende brav wird), den «Schwuchtelpeter» aus den 80ern, den «FDPeter» aus den 90ern. Die Lücke einer zeitgemässen Version des 20. Jahrhunderts kündigt Hakenberg nun zu schliessen an.
Das erste Lied vom «drallen Kalle», der aufgrund zu vieler (7) Happy Meals in der Rutsche stecken bleibt, gerettet und mit Happy Meal Nr. 8 belohnt wird, ist ein sanfter Einstieg. Das nächste, «Rolf und die Hamster», hat schon mehr Schwung und bei der Ankündigung zur Zappelphillip-Neuauflage «Ritalin-Aline» ist das Publikum voll dabei und sogar für interaktive Spässe (wie etwa das Reinrufen von «ADHS») zu haben.
Kein harter Stoff
Nach diesem «Hoch auf legale Drogen» – Ritalin, Benzos und Antidepressiva – von denen sich Alines Studentenbruder fröhlich bedient, stellt Hakenberg die Zuschauer vor die Wahl: Romantisches Liebeslied (aus einem alten Programm) oder harten Stoff? Das Publikum will es hart.
Doch so richtig hart ist auch die «Mandy-Guck-ins-Handy»-Nummer nicht, wird Mandy zwar der rechte Arm amputiert, da sie am dauersmslen von einem smartphonebedienenden Smartfahrer angefahren wird, doch tippt sie einfach mit links weiter. Statt mit einem weiteren Blutbad endet das Lied mit dem Reim «die Zeit ist reif für i-Phone 5».
Ebenso im letzten Lied vor der Pause: Der «Wasserhasser», der Mädchen im Schwimmbad ärgert (darunter auch die einarmige Mandy (!)), wird selbst ins Wasser geschubst und kann nicht schwimmen. Doch lässt Hakenberg ihn nicht ertrinken, sondern den drallen Kalle ins Becken springen und das Wasser verdrängen. Es folgt die Moral: «Scheinen sie auch schwach und schlicht, unterschätz die Mädchen nicht»
Und Erwachsene ebenso
Nach der Pause legt Hakenberg ihre «mädchenhafte» Schwäche der Zurückhaltung ab und einen Zahn zu. Spätestens beim Lied über den kleinen Heinrich beim Kinderfest der NPD («Ich dachte, ihr habt hier so eine Art Partei nicht, aber seit den Abstimmungen vor ein paar Monaten … SVP»), wo man Hakenkreuze malt, «Wer hat Angst vorm schwarzen Mann» spielt und nicht «Reise nach Jerusalem», während die besoffenen Eltern den Hitlergruss machen und zum Abschluss das Auto von Hassans Vater brennt, spürt man endlich etwas von der Bösartigkeit ihres Humors, mit der das Programm beworben wurde. Jetzt lässt sie den lustigen, aber niedlichen Kinderkram hinter sich und rückt mit den Erwachsenenversionen raus, erklärt beim Verlesen der Dinge, die es nicht ins Programm geschafft haben, dass Mandy ursprünglich auch den anderen Arm verlieren sollte, und reimt «Armabtrennung» auf «Spracherkennung». «Benni der Bombenbauer», dem seine nach Internetanleitung gebastelte Bombe für den Schulamoklauf selbst um die Ohren fliegt, gibt es immerhin als Hidden Track auf ihrer CD.
Trend zum Happy End
Zum Schluss greift Hakenberg zur Gitarre und trifft mit ihrer Singer Songwriter Persiflage «Flying Robert» mit Strickmütze und viel «Feeling» ins Schwarze!
Da verzeiht man ihr die Rückkehr zur Harmlosigkeit, ihren selbstdiagnostizierten «Trend zum Happy End» gerne. Wenn sie als Zugabe eine Schlager-Parodie inklusive «Schlagermoves» (von der «kleinen Sonne» zu Helene Fischers «Expander») zum Besten gibt, ist es auch um den letzten Kritiker geschehen.