Wer übermässig Aktivität zeigt, lebt in Gefahr

Die Veranstaltung
Was: Obituary von Marina Potapova
Wo: Internationale Kurzfilmtage Winterthur
Wann: 07.11.2014
Bereiche: Film+Fotografie, Internationale Kurzfilmtage Winterthur 2014
Kurzfilmtage Winterthur
Kulturkritik ist Partner der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur 2014. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Martina Felber: geboren 1987, lebt in Zürich. Studiert derzeit im Masterstudiengang «Kulturpublizistik» an der Zürcher Hochschule der Künste.
Die Kritik
Lektorat: Philipp Spillmann.
Von Martina Felber, 14.11.2014
Der Film beginnt mit einer gewaltvollen Attacke auf einem nebligen und verlassenen Parkstück. Wir werden Zeugen, wie zwei Männer brutal auf ihr Opfer einschlagen. Eine Szene später erfährt ein russischer Journalist vom Mord an seinem Freund und Berufskollegen Kuzma. Ein Tag verstreicht. Der Hinterbliebene geht zum polizeilichen Verhör, versucht, in der Disko einen Nachruf zu schreiben, um später ausgelassen mit Fremden zu feiern. Am Schluss kehren wir wieder zum Park zurück. Zurück zum Anfang, dessen Ausgang wir nur erahnen können.
Mit ihrer ersten Regiearbeit «Obituary» liefert uns Marina Potapova aktuellen Stoff aus der politischen Situation Russlands. Sie reagiert damit auf die unzähligen Gewaltdelikte und organisierte Kriminalität gegenüber politisch aktiven Journalisten. Ein fiktionaler Kurzfilm, der auch Hintergründe zur Zeitung Novaya Gazeta, die für ihre kritische Berichterstattung und brisanten Enthüllungsgeschichten bekannt ist, antastet. Bisher mussten bereits fünf Redakteure der Zeitung mit ihrem Leben büssen.
Den Löwen zum Frass vorgeworfen
Ein Zeichen soll gesetzt werden – der Tathergang der Ermordung an Kuzma darf nicht durch behördliche Ignoranz zu den Akten gelegt werden. Der letzte Wille des Getöteten wird aus einem Gedicht abgeleitet: Am besten in einer Performance den Leichnam im Zoo an die Löwen verfüttern. Ein Akt des Aufschreis.
Die Absurdität und Drastik solcher Aussagen lassen uns ratlos zurück. Die tragische Tiefe des Regiedebüts wurzelt auch in der Schwerfälligkeit des Gesagten und in der Leere des Unausgesprochenen. Die Trauer des Journalisten und der Angehörigen scheint von einem Stacheldraht umzäunt zu sein. Diese unterdrückte Trauer zeigt sich feinfühlig in den Gebärden und Mienen der Schauspieler. Wir hören gefühlsleeren Konversationen zu und finden in den regungslosen Blicken und den scheinbaren Beiläufigkeiten gelähmte Reaktionen auf den Verlust. Eine Nacht alkoholisierten Übermuts kann kurzfristig ablenken. In den nächtlichen Streichen und Schreien des Journalisten spricht aber kraftvoll Verzweiflung und Ohnmacht. «Kennt ihr Antifa?» ruft er, sichtlich betrunken, durch die vibrierende Elektromusik in die Partymenge. Eine Frage, so flüchtig platziert: Eine bewusst zurückhaltende Haltung des Films? Der aufmerksame Zuschauer erkennt spätestens hier, dass Kuzma der antifaschistischen Gruppe angehörig war. Immer wieder beschwört der Film die stetige Bedrohung herauf und spielt damit. Wenn der tote Kuzma dem Journalisten als Erscheinung entgegentritt, besiegelt er gewissermassen dessen Schicksal: «Vielleicht wird die Freundin bald auch für dich weinen.» Das wiederkehrende Geräusch eisiger Windböen und das Auflauern der Kamera am Fers des Journalisten im Park ist die filmische Lösung, mit der Potapova die Konfrontation zwischen dem Journalisten und seiner Angst herstellt.
Der Mehrwert des Films liegt weniger in der Etablierung eines Spannungsbogens oder einer innovativen Darstellungsform, denn mehr im subtilen Umgang mit Augenscheinlichem, wie auch die latenten Seitenhiebe auf Kosten russischer Autoritäten zeigen. Wenn sich der Journalist beim Verhör nebenbei einen Strickpullover mit weihnachtlichem Gänsemotiv überzieht, hören wir leise Verspottung. Als würde Potapova mit solchen bewusst gesetzten Nuancen bekräftigen; ein lauter Aufschrei ist gefährlich. Das Regiedebüt positioniert sich somit selber als wichtige, politische Gegenkraft zu den staatlich regulierten Medien, indem es Offensichtliches vernebelt und es dennoch schafft, unterschwellig Kritik zu üben.