1:0 für Natalie Wagner

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Natalie Wagner & naway dance company
Wo: Theater am Gleis, Untere Vogelsangstr. 3, 8401 Winterthur
Wann: 13.06.2014
Bereich: Tanz

Die Autorin

Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.

Die Kritik

Lektorat: Tabea Buri.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: naway dance company (siehe Unabhängigkeit).

Von Esther Becker, 15.6.2014

Den Termin eines Tanzabends auf einen Freitag, den 13. zu legen, ist in der chronisch abergläubischen Welt der darstellenden Künste etwas ungewöhnlich. Den Termin eines Tanzabends auf einen Freitag, den 13 zu legen, an dem sowohl das Gay Pride Festival, wie auch das Stolze Openair in Zürich stattfinden und zusätzlich die Fussball Weltmeisterschaftsspiele Mexiko : Kamerun und Spanien : Niederlande übertragen werden, ist gewagt.

Doch das Theater am Gleis ist brechend voll, selbst die Treppenstufen mussten mit Sitzkissen bestückt werden. Am Ende des aus vier Kurzstücken bestehenden Abends waren nicht mehr alle Plätze besetzt – allerdings nicht etwa, weil Zuschauer in der Pause gegangen wären, im Gegenteil: Es gab Standing Ovations. Und das zu Recht. Zumindest teilweise.

Matrix mit Augenzwinkern

Der Abend beginnt mit «Dark Passenger», der jüngsten Arbeit von Natalie Wagner und der «naway dance company». Eine amöbenartige Einheit von vier Tänzerinnen, in weissen Shorts und Shirts, betritt die leere Bühne. Sie vereinzeln sich, zersplittern sich peu à peu, bilden Duos, bekämpfen sich mit waghalsigen Martial Arts Moves in Zeitlupe (Matrix lässt grüssen). Immer wieder steigt eine der Performerinnen aus; manipuliert die anderen, kommentiert die Szene. Das reicht vom exessiven Verbeugen bis zum Marionetten-Spiel, wo die Stinkefinger oder Fäuste der puppenartig passiven Kolleginnen in die Luft gereckt werden. Doch immer wieder findet der Schwarm zurück zueinander, ordnet sich das Individuum der Masse unter.

Die düsteren, teilweise gewalttätigen Bilder im kalten Seitenlicht werden immer wieder durch den Ebenenwechsel im warmen Licht gebrochen. Das ist die ersten paar Male überraschend und lustig, dann weiss man, wie der Hase läuft und dem Ganzen geht ein bisschen der Schnauf aus. Zum Schluss wiederholen sich die Anfangsmotive des Vierer-Wesens und es sieht es aus, als würde sich die Klammer schliessen, doch wieder bricht eine Tänzerin aus. Die beendet dann den ewigen Kreislauf wie mit einem Augenzwinkern, nämlich mit einem Schnipser, auf den hin das Licht ausgeht.

Conchita Wagner

Als Zweites wird mit «Better than that» ein von Katja Grässli choreografiertes Solo gezeigt, in dem Wagner nun auch als Tänzerin in Erscheinung tritt. In schwarz gekleidet, mit einem knallroten Stuhl und einer abgenutzten Reisetasche als Requisiten beginnt eine One-Woman Show, die in ihrer anfänglichen Zappeligkeit zunächst erschreckend an einen Vorsprechmonolog an der Schauspielschule erinnert. Doch dann haut sie uns «in Drag» (rotes Minikleid, Killer-Heels, gelbe Perücke) mit unverwüstlicher Energie und komischem Talent aus dem Socken. Sie verwandelt sich mittels Kissen, mit denen sie Brüste und Po ad absurdum aufpolstert, in eine tragikomische Karikatur, einen wandelnden Kommentar zu heteronormativen Geschlechterrollen. Schön, der Gedanke, dass zeitgleich Conchita Wurst im Kasernenareal in Zürich performt.

Das folgende «Nachbars Garten», wiederum mit vier Tänzerinnen, fällt gegen das Solo extrem ab. Die geloopten Werbeslogans von Calgonit bis Drei Wetter Taft («Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn») werden leider kaum mehr als illustriert. Das Ganze scheint wie eine platt, unausgereifte Vorversion des Eröffnungsstückes.

 Standing alone

Nach der Pause rockt Natalie Wagner dann wieder in einem Solo die Bühne. Mit dem auch von ihr choreografierten, selbstreflexiv anmutendem «Es isch wie’s isch» vermag sie wieder einen Volltreffer zu landen. Sie probiert sich aus, kämpft sich frei, durchläuft eine Metamorphose vom verletzten Tier zur Stand-up Comedian, bis hin zu einer jungen Frau, die sich zu Billie Hollidays «Blue Moon» zurücklehnt, die Beine übereinanderschlägt und im Schlussbild entspannt zum Himmel hinauf und getrost ihrer Zukunft entgegen schaut. Das alles mit einer direkten Präsenz, der man sich nicht entziehen kann. Ihre Einfälle schrappen oft nur knapp am Kalauer vorbei (das wortwörtliche Rennen gegen eine Wand etwa) und man kann sich manchmal schwer entscheiden: Ist das extrem naiv oder extrem genial? Völlig egal, denn es funktioniert, da Wagner einen mit ihrer uneitlen, bezwingenden Durchlässigkeit in einen Bann zieht, in dem man ihr alles glauben und zutrauen möchte.

«Es isch wie’s isch» beginnt mit O-Ton Samples, darunter der Frage, warum sich eigentlich die Tänzer nicht die Choreografen aussuchen könnten, sondern es immer umgekehrt sei. Wir sehen eine Frau, die nach dieser Performance bestimmt aussuchen kann, wer  choreografieren soll, die es ja bereits getan hat, und mit Katja Grässli und sich selbst goldrichtig lag.

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