Die Macht der Fiktion

Die Veranstaltung
Was: Mariano Pensotti: Cineastas
Wo: Theaterspektal, Nord
Wann: 14.08.2014 bis 18.08.2014
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2014
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2014. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Tabea Buri: Ethnologin, Jahrgang 1987
Die Kritik
Lektorat: Christian Felix.
Von Tabea Buri, 20.8.2014
Klar, ohne reales Leben kann keine Fiktion entstehen. Doch gibt es umgekehrt Realität, die nicht von fiktiven Geschichten geprägt ist? Dem gefeierten argentinische Regisseur Mariano Pensotti zufolge ist die Antwort klar: Nein. Alles was wir tun ist geformt von Geschichten, die wir aus Büchern, Filmen und Theatern kennen. Die Kunst verändert unseren Alltag.
Ein Regisseur portraitiert Regisseure
Pensotti, der mit seiner «Groupo Marea» bereits zum zweiten Mal am Theaterspektakel gastiert (2011, «El Pasado es un animal grotesco»), entführt dieses Jahr auf der Landiwiese in die Welt des Films. In seinem Stück «Cineastas» portraitiert er zwei Regisseure und zwei Regisseurinnen aus Buenos Aires, deren Leben sich im Laufe eines Jahres mehr und mehr mit dem Inhalt ihrer Filme vermischen. Da ist zum Beispiel die junge Mariela: Sie soll ein fremdes Drehbuch französischer Autoren über die Rückkehr eines von der argentinischen Militärdiktatur entführten Familienvaters filmisch umsetzen. Im Laufe der Arbeit beginnt sie selbst mehr und mehr an das Wiederauftauchen ihres eigenen Papas zu glauben, der seit ihrer Geburt verschwunden ist. Gleichzeitig versucht Lucas, einen kapitalismuskritischen Kurzfilm zu drehen, ohne dabei seine steile Karriere bei McDonalds zu gefährden. Bei allen vier Filmschaffenden verknüpft sich die fiktionale Geschichte mehr mit ihrem Alltag, als es ihnen lieb ist.
Wirklichkeit und Phantasie
Durch einen Kniff aus der Filmwelt bringt die Inszenierung die Vermischung von Fiktion und Realität geschickt auf die Bühne: Wie bei einem Splitscreen spielt sich auf der unteren Ebene eines zweigeteilten Kubus das Leben der «Cineastas» ab, während oben gleichzeitig der entsprechende Film dargestellt wird. Im Laufe des Abends wird die Kulisse des Alltags Stück für Stück abgebaut. Hinter den Bilderrahmen und Sesseln, hinter Garderobe und Zimmerpflanze erscheinen die gleichen kahlen Wände wie im darüber liegenden Bühnenteil. Hier wird die Aussage des Stücks visuell deutlich: Der Kontext, in dem sich Wirklichkeit und Phantasie abspielt, ist schlussendlich derselbe. Es sind weisse Wände, auf die wir unsere Ideen und Träume projizieren.
Fehlendes Vertrauen ins Schauspiel
Die vielschichtige Handlung, die fliessenden Rollenwechsel der Schauspielenden sowie die verdoppelte Bühneninstallation zeigen das Zusammenspiel von Fiktion und Realität intensiv. Das fünfköpfige Team auf der Bühne überzeugt mit konzentrierter Arbeit. Schade nur, dass Pensotti dem Schauspiel nicht vollständig zu vertrauen scheint: Reihum übernimmt eine Darstellerin oder ein Darsteller die Rolle der personifizierten Off-Stimme. Sie verknüpft die rasend schnellen Szenenwechsel mit Analysen und Erklärungen damit die Montage nicht auseinanderfällt. Das hat jedoch zur Folge, dass das Spiel der Anderen fast nur noch zur Illustration dieser Stimme wird. Und da die Stimme jede Interpretation der Handlung schon vorwegnimmt, verliert die ansonsten grossartige Inszenierung ein Stück weit an Kraft. Sie vergibt die Möglichkeit, für sich selbst zu stehen.