Erkenntnisziel: Lonely People

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Falkensteiner Protokolle
Wo: Theater der Künste, Bühne A
Wann: 30.01.2014 bis 31.01.2014
Bereich: Theater

Die Autorin

Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.

Die Kritik

Lektorat: Carmen Beyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Esther Becker, 2.2.2014

Mit einem «Wow!» eröffnet Volkskundlerin Claudia Canella den Abend; sie ist beeindruckt, dass ihre Doktorarbeit sie nun auf die Bühne A gebracht hat. «Falkensteiner Protokolle» heisst die Performance über Berufsidentität, persönliche Geltung und gesellschaftliche Positionierung, die sie gemeinsam mit Künstlerin Julia Geröcs und drei SchauspielerInnen erarbeitet hat. Auf dem Plakat ist der Titel allerdings durchgestrichen. Der Untertitel «Ein Sinn- und Geltungsspiel» rückt damit in den Vordergrund.

Das entspricht der 50-minütigen Vorstellung: Im Mittelpunkt stehen klar die Macherinnen und ihre Auseinandersetzung mit der Methode der Autoethnografie, welche die Erforschung von gesellschaftlichen Phänomenen durch Selbstschau zum Ziel hat. Die Tagung der deutschen Gesellschaft für Volkskunde im Jahr 1970 in Falkenstein, auf welche der Titel anspielt, kommt sehr kurz. Einerseits machen die Zitate tatsächlich nur einen kleinen Teil des gesprochenen Textes aus, andererseits sind die Diskussionsfetzen für Fachfremde zwar amüsant, aber kaum nachvollziehbar, so dass sie ausser als Parodie von Fachsimpeleien kaum Eindruck hinterlassen können.

Sozialkritik oder Pornokalender

Nach kurzer Vorstellungsrunde der Macherinnen wird es offiziell szenisch: Künstlerin Geröcs spricht von einer Vernissage, auf der sie vom Käufer einer Malerei mit erotischem Motiv gefragt wird, wie es zu dem Bild kam, und ob sie sexuell zufrieden sei, oder es nicht etwas härter möge. Der Fragende erzählt freimütig von seiner Freundin, die er liebe, aber mit der ihm im Bett etwas fehle, da er es sich eben etwas härter wünsche, aber seine Freundin nicht verletzten wolle. All das trägt sie in einer literarischen Sprache vor, die sich vom vermeintlich privaten Ton der Einleitung klar abhebt. Dazu eine Choreografie mit Sektglas und Klarsichtmappe, die mal mehr, mal weniger illustrierend eingesetzt werden. Die Spieler steigen ein, unterstützen Geröcs beim Requisitentanz, bewegen sie wie eine Marionette. Dann formatieren sie sich links und rechts neben ihrem Drehstuhl, drehen sie darauf. Alles mit Fernsehballett-Präzision. Diese Vernissagebegegnung löste bei Geröcs eine Hinterfragung der Relevanz ihres Werks aus. Sie zweifelt, ob ihr Bild Kritik übe oder nur «Pornokalender», reiner Wandschmuck bleibe, der die Betrachtenden lediglich verwöhnt und bestätigt.

Von Geltung und Gage

Jetzt wieder im privaten Modus erfahren wir, dass Geröcs zuvor bereits performativ gearbeitet hat, allerdings allein. Dies sei der erste Versuch mit Schauspielern; sie war gespannt herauszufinden, was Regiearbeit, was Dramaturgie bedeute, erklärt sie. Die Spieler wiederum nennen ihre Beweggründe bei diesem Projekt mitgemacht zu haben: Interesse an Thema, Vorgehensweise und die Gage. Es sei Arbeit gewesen, sich die Tagungs-Texte anzueignen; sie seien recht sperrig.

Szenisch geht es weiter mit Canella, die einen E-Mail-Verkehr über die Bewerbung für eine Assistentenstelle vorträgt. Sie bricht die Norm eines Bewerbungsverfahrens, indem sie schonungslos ehrlich nachhakt, ob sie zur nächsten Runde eingeladen wurde. Wurde sie nicht, heisst es in der ausführlichen Antwort des Professors. Dann sehen wir, wie sie nach Erhalt ihres Diploms in die Gruppe der Berufswissenschaftler aufgenommen, und auf einmal ernst genommen wird. Um einen in die Mitte gerückten Hellraumprojektor kommen nun die Spieler mit den Falkensteiner Zitaten zum Zuge, etwa: «Gibt es ein Erkenntnisziel?» Dazu wird mit Farbstiften auf die Folie gezeichnet.

Dokumentartheater mal andersherum

Erfrischend ist es, Dokumentartheater mal andersherum: Nicht die Theatermacher stellen «Experten des Alltags» auf die Bühne, sondern zwei Theaterfremde suchen sich Experten des Schauspiels, um mit ihnen herumzuprobieren.

Doch spielt sich das Experiment leider nicht frei. Es bleibt eine Übung, eine kluge und witzige (!), doch man wünscht sich, die beiden hätten die Theaterkonventionen genauso ignoriert wie jene des Bewerbungsverfahrens. So bewirkt das «Theäterlen» mehrheitlich das, was die Initiantinnen an ausufernden Fachtagungen beziehungsweise Wandschmuck- Malerei kritisiert haben: Nämlich das Ablenken vom Thema und das Verwöhnen/Bestätigen des Rezipienten. So lupenrein die A-Capella-Version von «All The Lonely People» klingt, mit dem aus dem Off der Abend beendet wird, so wenig Mehrwert erzeugt es. Sie stört sogar beim Lesen der projizierten Falkensteiner Resultate. Dort hat man sich geeinigt: «Volkskunde analysiert die Vermittlung (die sie bedingenden Ursachen und die sie begleitenden Prozesse) von kulturellen Werten in Objektivationen und Subjektivationen». Dann verstummt das Lied und das Licht geht aus.

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