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kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Ernst Jandl - Aus dem wirklichen Leben
Wo: Kulturmarkt Zürich
Wann: 14.05.2014 bis 25.05.2014
Bereiche: Gesellschaft, Literatur, Musik, Theater

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Carmen Beyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Kulturmarkt (siehe Unabhängigkeit).

Von Fabienne Schmuki, 15.5.2014

Sie. Ass. Sie ass. Sie ass! Sie ass Öl Rind Reh Vieh Ochs Kuh. Wie bitte? Korrekt: Das Sprechmusiktheater «Ernst Jandl – Aus dem wirklichen Leben» ergibt nicht immer sofort einen Sinn. Vielleicht aber tut es genau dies: Sinn machen, Sinn konstruieren. Dingen einen Sinn geben, den man ihnen vorher nicht zugewiesen hätte. Sinnkonstruktion, die aus Sinndekonstruktion resultiert. Verstanden?

Spass mit und an der Sprache

Dass sich diese Kulturmarkt-Eigenproduktion mit ihrer experimentellen Lyrik, konkreten Poesie und Lautpoesie Kunstformen annähert, welche dem Dadaismus sehr nahe stehen, ist nachvollziehbar – schliesslich ist die Zwinglistadt Zürich Geburtsstätte dieser künstlerischen und literarischen Bewegung, welche bald ihr einhundertjähriges Jubiläum feiert. Demnach bietet sich der Kulturmarkt im Zwinglihaus als perfekte Schaustätte, Bühne für Reflexion, Wortspiele und -spässe.

Im Zentrum der Vorstellung steht das Werk des vor vierzehn Jahren verstorbenen österreichischen Dichters Ernst Jandl. Jandl erlangte vor allem durch seine abstrakteren Werke Berühmtheit: komische Wort- und Sprachspiele, Wortketten ohne Vokale, oder lautmalerische Beschreibungen des Künstlers waren erst verpönt, und später gefeiert. Dies erstaunt nicht unbedingt, ist Jandls Sprache doch sehr radikal, brutal, laut, aber auch immer wieder faszinierend einfach und nüchtern. Ähnlich präsentiert sich auch diese Inszenierung, die in kurzen Vorträgen stattfindet. Bühnenbild gibt es keines – es ist Proberaumstimmung, und das Blasorchester sitzt im Halbkreis und untermalt die Vorträge musikalisch oder lautmalerisch: radikal, brutal, laut aber auch immer wieder faszinierend einfach und nüchtern.

Fluchen ohne Vokale

Dass sich die sechs Schauspielerinnen und Schauspieler des Kulturmarkts und das fünfköpfige Ensemble TaG mit diesem Sprechmusiktheater an einen einfachen Stoff gewagt hätten, kann nicht behauptet werden. Darüber hinaus wirken an der Produktion 18 Schüler und Schülerinnen der fünften Klasse des Schulhauses Zurlinden, Zürich, mitsamt ihren zwei Lehrpersonen mit. Gemeinsam verarbeiten sie im Laufe der rund 70-minütigen Aufführung von Musik unterlegte Gedichte aus Jandls Feder und Eigenkreationen.

1966, genau fünfzig Jahre nach der Gründung des Dadaismus, schrieb Ernst Jandl gemeinsam mit Ernst Kölz die Sprechoper mit dem Titel «Szenen aus dem wirklichen Leben». Die Vorstellung, die das Ensemble fast fünfzig Jahre später auf der Kulturmarktbühne aufführt, ist natürlich daran angelehnt. Doch die Vortragenden begnügen sich nicht damit, zu kopieren. Mit viel Humor und wohltuender Nonchalance tragen sie Reime vor, verschlucken die Vokale in Fluchworten, erklären sich die Liebe, ohne verstanden zu werden, oder erzählen die Geschichte vom qualvollen Tod von Gittis Gizzi, igitt igitt.

Kinderleicht und unvernünftig

Natürlich wird indirekt die Frage nach Sinn und künstlerischer Leistung aufgeworfen. Ebenso natürlich kommt das Publikum dann zum Schluss, dass der Sinn einer Botschaft, einer Aussage, eines Begriffes oder eines Lauts erst dann entsteht, wenn dieser von einem selber gesucht und dann verliehen, aufgedrängt, übergestülpt oder angewandt wird. Vielleicht steckt hinter «sht pss sck» nicht «shit piss suck», sondern «shot pass sick».

Dichten kann also kinderleicht sein, aber es bedarf an Mut, Einfällen und Lust. All dies zeigt diese Produktion genüsslich. Dabei wird das Vorgetragene mit humorvollen Einschüben wie einer Beat-Box-Einlage eines Fünftklässlers im Beatles-T-Shirt oder einer mit grossen Gesten anrührenden Dirigentin, die kaum über das Notenpult hinaussieht, angereichert.

Einziger kleiner Wehrmutstropfen ist vielleicht ein pädagogischer Fingerzeig: Als die «Erwachsenen» den Vorträgen nicht aufmerksam horchen und den Probebetrieb stören, zeigen die Fünftklässler, wie man stillsitzt. Ansonsten aber macht «Ernst Jandl – Aus dem wirklichen Leben» enormen Spass für alle, die Sprache lieben und auch ein bisschen den Nonsens. Denn zu viel Vernunft tut manchmal weh. Noch mehr, als das wirkliche Leben.

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