Der Blick gen Himmel

Die Veranstaltung
Was: Alles wird gut: Orakel Labor 3
Wo: Binz39 Foundation
Wann: 29.04.2014 bis 10.05.2014
Bereiche: Performance, Theater
Die Autorin
Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.
Die Kritik
Lektorat: Christian Felix.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Cie. Sündenbock (siehe Unabhängigkeit).
Von Esther Becker, 30.4.2014
Das Theater hat seinen Ursprung im Ritual. Es gibt viele Überschneidungen dieser beiden performativen Praktiken. Rituelle Handlungen werden öffentlich vollzogen, damit etwas Drittes geschieht, magische Momente entstehen, ein Funke überspringt.
In den niedrigen, weiss gestrichenen Räumen der BINZ93 ist eine schlichte «Zukunftswerkstatt» eingerichtet. Dieser Abend spielt mit offenen Karten. Die meisten «Werkzeuge» sind von Beginn an zu sehen: ein Synthesizer, zwei Gitarren, ein Windspiel, sodann auf einem Tisch eine Wasserflasche, Textseiten. Würfel und eine Kette liegen auf einem Teller. Die Performer kommen herein, setzen sich an den Tisch. Und warten. Stehen auf, spucken sich über die Schulter, wünschen sich «viel Glück», «Merde» und «alles Gute», setzen sich dann wieder. Und warten.
Nichts für Ungläubige
Dann beginnt Pierre Angelle einen Text vorzulesen, der von Menschen handelt, die an einem Tisch sitzen. Und warten. Gläser hin und her schieben. Menschen, die an Vorherbestimmung glauben, die alles kontrolliert wissen wollen: «jeder Gegenstand ist an seinem Platz, jedes Wort hat seinen Sinn», Menschen, die sich für andere schöne Überraschungen wünschen. Für sie selbst jedoch wäre eine Überraschung immer etwas Schlechtes.
Wie auf ein Stichwort hin geschieht am Premierenabend etwas, was in jedem anderen Stück vermutlich sehr störend gewesen wäre, hier aber (im wahrsten Sinne des Wortes) wie gerufen kommt: Es klingelt. Zwei verspätete Besucher kommen herein, werfen beim Einnehmen ihrer Plätze ein am Boden abgestelltes Weinglas um. Die Performer – warten. Bis sie weitermachen können. Mit vollzähligem Publikum startet nun ein neunzig-minütiger Trip durch alle Aggregats- und Gefühls-Zustände.
ALLES WIRD GUT – Orakellabor 3 ist nichts für Ungläubige. Zuschauer, die sich einen Theaterabend mit dramatischem Plot im klassischen Sinne wünschen, werden böse überrascht sein von der Redundanz, der Rohheit, den Momenten des Aushaltens, die zu diesem Ritual gehören.
Was getan werden muss
Malika Khatir ruft die Winde an, «hinter diesen Mauern, ausserhalb dieser Mauern», den Regen, die Sonne, den Lavendel ihrer Kindheit, die kriminelle Nachthyazinthe aus Mexiko, während Stéphane Blok psychedelischen Orgelsound kreiert und sich Fiamma Camesi auf Händen und Knien über die Holzdielen bewegt, in kreisenden, scheuernden Bewegungen. Das Kreisende, Zyklische begegnet einem immer wieder an diesem Abend, ebenso der Blick gen Himmel, das Bitten, das Anrufen. Die vier Darsteller wollen ein Zeichen, und sind bereit, einiges dafür zu tun. Mit Konzentration, Ausdauer und Schalk im Nacken kämpfen sie sich durch die Beschwörung, mit Eiern, Steinen, Klebeband und Lavalampen. Sie sagen, «was gesagt werden muss, tun, was getan werden muss».
Natürlich ist das langwierig, zuweilen langweilig, natürlich werden keine Antworten gegeben. Es gibt nur Fragen. «Bist du glücklich? Was wünschst du dir? Weisst du, was wir hier machen? Bräuchten wir nicht eine lange Pause?», so und ähnlich fragt es sinngemäss auf Französisch vom vorproduzierten Video ins Publikum. Das Videobild (Nicole Biermaier) scheint nach einem Countdown die Bühnenwand aufzureissen. Wir sehen eine Aufnahme des Himmels, dann erscheinen die Darsteller, wie Doppelgänger, oder Geister aus dem Jenseits, um uns befragen –und sich selbst bei ihren Orakelversuchen zu beobachten und zu kommentieren, wie Götter, die schon wissen, was passieren wird. Das Video addiert eine Parallelebene zum Bühnengeschehen, bei dem ganz ähnliche Szenarien zu sehen sind. Vermutlich wegen einer technischen Panne laufen synchron gedachte Sequenzen allerdings leicht zeitverzögert ab.
Es wird gut
Das eine oder andere Ende wird verpasst, der eine oder andere Text mag zu eindeutig sein, ein paar Darlings hätten durchaus noch gekillt werden können. So oder so: Fiamma Camesi und ihre Cie. Sündenbock haben ein Auge für starke, überraschende Bilder, und wagen eine fragile Versuchsanordnung anstelle eines perfekt geschliffenen, glatten Theaterabends. Und es wird gut.