Das Fenster zur Strasse

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: 3m2 - Fotografien von Thomas Krempke
Wo: Kunstraum r57
Wann: 26.02.2014 bis 14.03.2014
Bereiche: Bildende Kunst, Film+Fotografie

Die Autorin

Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: KunstRaum R57 (siehe Unabhängigkeit).

Von Esther Becker, 1.3.2014

Dass ich beim Betreten der Fotoausstellung «3m2» von zwei «Beweisstücken» begrüsst wurde, einem Balkonstuhl und einem Aschenbecher, die in den kleinen vitrinenartigen Schaufenstern rechts und links vom Eingang des Ausstellungsraums thronen, führte mich auf eine falsche Fährte. Sehr prominent steht auch gleich ein drittes Beweisstück zusammengeklappt an der hinteren Wand: Ein Balkontisch, auf den Auszüge des Fototagebuchs des Künstlers projiziert werden. Ich sehe mich vor der Auslegeordnung einer Spurensicherung, von der auch im ausliegenden Pressetext die Rede ist, und prompt taucht auch der Begriff «Bestandsaufnahme» in einem der aphoristisch anmutenden Einträge des Tagebuchs auf, zusammen mit dem Hinweis, dass das alles auch gegen den Künstler verwendet werden könne. Alles lässt auf das Spiel mit einer kriminalistischen Ebene schliessen. Assoziationen zum «Fenster zum Hof» kommen auf, nur dass eben nicht Fotojournalist L. B. Jefferies (der wegen eines Gipsbeins auf einen Rollstuhl angewiesen ist) aus Langeweile seinen Hinterhof in Greenwich Village beobachtet, sondern Thomas Krempke in den Rauchpausen auf dem Balkon den Blick über seine Wipkinger Wohnstrasse schweifen lässt. Und auf einmal entdeckt er … nein, kein Verbrechen, sondern den einfachen Alltag.

Nach Verbrecherischem sucht man in der Ausstellung im Kunstraum R57 in Wipkingen vergebens: Krempke ist nichts vorzuwerfen. Seine Weste ist so rein wie der Schnee auf dem Balkontisch, der viele der Fotografien ziert.

Glatte Körnigkeit

«Das hat so etwas poetisches, nicht?», fragt eine Besucherin rhetorisch ihre Kollegin – und sie hat Recht. Die Motive sind fast ausnahmslos einfach schön: der Mond, eine Wolke, Detailaufnahmen von Pflanzen, Spiegelungen auf dem Balkontisch, der Schattenumriss eines Klappstuhls, der verschneite Aschenbecher etc.

Ein Foto zeigt auch einen Nachbarn im Fenster gegenüber, aber eben ohne Mordkomplott. Die Ausschnitte sind gut gewählt, die Farbkompositionen sind stimmig, erinnern an Filmstills, in Krempkes Vita entdeckt man: er ist auch Filmemacher.

Den meisten Aufnahmen, die mittels Inkjet auf Hahnemühle-Papier gedruckt und auf Alu gezogen wurden, kommt ihre Körnigkeit zugute, vor allem den Fotos, bei denen die Materialität der Oberflächen im Fokus steht. Besagter Schnee auf dem Aschenbecher etwa, wirkt so plastisch, dass man fast meint, das Kälteprickeln auf den Händen des Rauschers bzw. Fotografen spüren zu können. Oder die Pfütze auf dem Asphalt, in der sich das Licht einer Strassenlaterne spiegelt.

Das passt perfekt, zu perfekt vielleicht. Und vielleicht ist das, was Krempke vorzuwerfen wäre: Glattheit. Glattheit selbst in der Körnigkeit. (Ver)störendes hat keinen Platz. Dieser Eindruck ist vielleicht auch deshalb besonders deutlich, weil der Pressetext den Besucher der Ausstellung in eine andere Richtung weist.

Über den Dingen

Drei Quadratmeter sind bescheiden für einen Balkon. Doch von der klaustrophobischen Dimension dieser Flächenangabe ist nicht viel zu spüren. Auch wenn der Kunstraum r57 selbst nicht viel grösser ist. Die Aufnahmen lassen kaum etwas von der Enge erahnen, die Weite in den Blicken herauf und herab vom Balkon verhindert das.

Auch der voyeuristische Aspekt kommt nicht vor, mit einer Ausnahme: Ein Foto zeigt durch das Balkongeländer die Rückenansicht einer Rollstuhlfahrerin auf der Strasse. Dieses eine Bild sticht aus den ansonsten eher harmlosen Motiven heraus, es lässt über den Beobachter und die Rolle des Beobachtens nachdenken. Über den Schutz, den diese Rolle bietet, aber auch die Isolation darin. Denn anstatt unten, mitten im Leben, steht er über den Dingen. In Sicherheit.

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