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Die Veranstaltung

Was: Werner Herzog: Wo die grünen Ameisen träumen
Wo: Filmfestival Locarno, Premi speciali
Wann: 11.08.2013
Bereiche: Film+Fotografie, Locarno Film Festival 2013

Filmfestival Locarno

Kulturkritik ist am 66. Filmfestival Locarno. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Nina Laky: Jahrgang 1988. Arbeitete für Radio 3FACH oder für das Kulturmagazin. Studiert ab 2013 publizieren & vermitteln an der ZHDK.

Die Kritik

Lektorat: Olivier Christe.

Von Nina Laky, 23.8.2013

Werner Herzog schuf 1984 mit «Wo die grünen Ameisen träumen» einen hochpolitischen Film, der leider nichts an Aktualität eingebüsst hat. Der Westen hat auch heute noch keinen Sinn, keinen Zweck und keinen Plan für die Natur. Der Nachhaltigkeit des Filmes gebührt Respekt.

Die Thematik «westliche Arroganz» gegenüber «indigener Tradition» ist bei Herzogs keine neue. Zwei Jahre vor dem Erscheinen von «Wo die grünen Ameisen träumen» drehte er mit Klaus Kinski «Fitzcarraldo» im peruanischen Dschungel. Filme über den getriebenen Weissen in der göttlichen Natur prägten Herzogs Image des gesellschaftskritischen Fantasten.

«Wo die grünen Ameisen träumen» entstand nach «Fitzcarraldo» und vor der letzten Zusammenarbeit von Kinski und Herzog 1987 in «Cobra Verde». Dieser Film bekam vorwiegend schlechte Kritiken und beendete die Zusammenarbeit der beiden. Herzog arbeitete in «Wo die grünen Ameisen träumen» ohne Kinski. Der Film ist ruhig und bescheiden: Keine grossen Übertreibungen, kein filmisches Drama, keinen Wahnsinn und das ist wirklich gut so.

Auf die Geschichte zum Drehbuch stiess Herzog während des Perth Film Festivals 1973 in Australien, als er über den Gerichtsfall las. Sie lies ihn nicht los. Das Drehbuch dazu stellte er zehn Jahre später in nur drei Tagen fertig.

Klopf, klopf…

«No», so lautet meist die Antwort der Aborigine Miliritbi (Wandjuk Marika) und Dayipu (Roy Marika) auf die Angebote der Baufirma Ayers. Ihr Sitzstreik in der australischen Wüste soll den Abbau von Uran verhindern, denn das Land ist heilig, die grünen Ameisen träumen hier. Werden sie geweckt, ist alles Leben zu Ende. So die Legende der Aborigines. Doch was tun, wenn unweigerlich der Kapitalismus vor der Tür steht?

Die gleiche Frage stellen sich wohl auch die 5000 indigenen Philippinerinnen und Philippiner, die aufgrund einer Kupfermine von Glencore Xstrata im Jahr 2013 ihrer Umsiedlung entgegen schauen. Oder die hispanische Bevölkerung in Lateinamerika, wenn ihr klar wird, dass Nestlé normales Leitungswasser filtert und teuer an sie weiterverkauft. Die Thematik des Filmes ist somit im grossen Stile aktuell.

Herzog zeigt Humor

Im Film ist einzig Lance Hackett (Bruce Spence), der Geologe von der Baufirma Ayers, verständnisvoll und mimt den Vermittler. Er hat spätestens dann die Seite gewechselt, als sein aufbrausender Kollege Cole (Ray Barret) sich über den kaputten Caterpillar beklagt und dahinter die «black bastards» vermutet, die ihm das Benzin daraus weggesoffen haben sollen. «Relax», meint Hackett. Der schlaksige Bruce Spence imponiert durch seine stattliche Grösse von zwei Metern. Er spielt nicht nur authentisch, er verkörpert auch das pure Gegenteil eines Aborigines.

Die Szenen rund um die Verhandlungen und das Gerichtsverfahren der beiden Parteien liefern viel subtile Komik. Sie nehmen zuweil sogar satirische Züge an: Auf dem Weg ins Gericht führen Hackett und sein Chef Baldwin Ferguson (Norman Kaye) Miliritbi und Dayipu in die Stadt aus. Geschenkt wird ihnen eine Uhr, deren lautes Piepsen anfänglich nicht abgestellt werden kann. Der Fortschritt funktioniert also nicht einwandfrei. Auf dem Weg zum Restaurant bleiben die vier dann im Lift stecken, Panik macht sich aber lediglich bei Ferguson breit. Auf dem Weg runter wiederholt sich die Szene. Der Fortschritt funktioniert schon wieder nicht einwandfrei und nur der weisse Mann begeht den Fehler zweimal.

Im Gerichtsaal stehen die Aborigines in Anzügen den Richtern mit lockigen Perücken gegenüber. Ein Aborigine wird in den Zeugenstand gerufen, doch niemand versteht ihn. Sein Stamm ist ausgestorben, er kann mit niemandem kommunizieren. Ein starkes Bild, das Herzog nutzt, um die ethisch- und moralischen Diskussionen auf einen Punkt zu bringen: Die Kulturen sterben aus. Es ist nicht das einzige Mal, dass Herzog deutlich wird. Als die Wüste durch den menschlichen Eingriff sich allmählich in ein Dorf verwandelt, eröffnet ein Supermarkt. Am hinteren Ende der langen Regale beten jeden Tag Aborigines, weil dort ein heiliger Baum stand. Auch dass es bei den indigenen Bewohnern Australiens kein Wachstumsdenken gibt und somit Konflikte mit der kapitalistischen Gesellschaft unausweichlich sind, zeigt Herzog an einem wiederum poetischen Beispiel: Aborigines zählen nur von eins bis drei. Alles was grösser als drei ist, bezeichnen sie einfach mit «many».

Viel Fiktion ist da nicht

Den Prozess haben die Einheimischen verloren. Als Vertröstung bekommen die Aborigines ein Hercules Flugzeug geschenkt. Das Flugzeug gleicht einer riesigen grünen Ameise. Dieses fliegt torkelnd in den Himmel, dem Abgrund entgegen, der grüne Hercules wird abstürzen. Auch Benjamin Franklin, der Hund, der sich am Anfang des Filmes in den Höhlen der Baustelle verläuft, kommt nicht mehr zurück. Franklin – das Bild für die wachstumsfetischistische Zivilisation ist Opfer des Systems und hat sich verirrt. Geologe Hackett nutzt derweil die Gelegenheit, um einen Ausstieg zu wagen und zieht der Wüste entgegen. Der Film beginnt und schliesst mit grobkörnigen Szenen eines Wirbelsturmes. Die allmächtige Natur schlägt zurück, der Wirbelsturm fegt über Gesellschaft und Moral hinweg.

Auch für Schweizerinnen und Schweizer ist «Wo die grünen Ameisen träumen» interessant. Die grossen Rohstoff-Firmen haben unter anderem ihren Sitz in der Schweiz und agieren unbeachtet weiter. Sie hinterlassen in vielen Teilen der Welt Leid und Verwüstung. Herzog bezieht sich in diesem Film auf einen existenten Prozess aus dem Jahr 1971, in der auch damals schon die Schweiz eine Rolle spielte. Die Rohstoffhändler von Nabalco (ein Zusammenschluss aus der schweizerischen Alusuisse und der australischen Industriefirma CSR) führten damals ein Gerichtsverfahren gegen die Aborigines. Bei diesem Fall dabei waren auch die beiden Schauspieler Wandjuk und Roy Marika, die Herzog später für den Film engagierte.

Der Vorwurf kommt immer wieder: Der selbstverliebte Herzog ist kein Kritiker, er ist ein Opportunist, der sogar das Leben seiner Darsteller («Aguirre, der Zorn Gottes») riskiert und Laien zur Schau stellt. Doch Herzog mischt in «Wo die grünen Ameisen träumen» gekonnt und sensibel Fakten und Fiktion zu einem wunderschönen, dokumentarischen Spielfilm, in dem die Wahrheit bis heute der eigentliche Wahnsinn ist. Die implizierte Kritik traf damals schon einen wunden Punkt. Nun hat sich dreissig Jahre später in gewissen Branchen nicht viel geändert. Und das ist, was den Film ausmacht. Gute Kunst ist nachhaltig.

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