Deutsch sein heisst Vieles sein

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Wer ist Thomas Müller
Wo: Zurich Film Festival
Wann: 17.10.2013
Bereich: Zurich Film Festival 2013

Zurich Film Festival

Kulturkritik ist am Zurich Film Festival 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Antonia Steger: Jahrgang 1988, studiert Germanistik und Kulturanalyse im Master, arbeitet daneben im Ausstellungsbereich (Kommunikation/Redaktion).

Die Kritik

Lektorat: Tilman Hoffer.

Von Antonia Steger, 28.10.2013

Grössenwahnsinnig und augenzwinkernd zugleich reist Christian Heynen für seinen Dokumentarfilm «Wer ist Thomas Müller?» quer durch Deutschland und trifft einen Thomas Müller nach dem anderen. Der Grund: Christian Heynen möchte herausfinden, was es heisst, deutsch zu sein. Dem Bundesamt für Statistik, welches aus lauter Mittelwerten einen absurden Normdeutschen kreiert, misstraut er jedoch. Darum sucht er die vielen Thomas Müllers auf, die Träger des häufigsten Namens Deutschlands sind, und zeigt ein ums andere Mal deren Unvereinbarkeit mit der Statistik.

Da ist zum Beispiel Thomas Müller, der Komiker. Er vertritt ausgerechnet eine Eigenschaft, die dem typischen Deutschen häufig abgesprochen wird: Er kann andere zum Lachen bringen. Auch Thomas Müller, der Pfarrer, lebt ein untypisches Leben. Er sorge vermutlich alleine dafür, dass in Deutschland durchschnittlich noch 0.1 Gebete pro Tag gesprochen werde – so ein liebevoll-zynischer Kommentar aus dem Off. Thomas Müller ist aber auch der workaholische Börsenanalytiker, der in den 1990er Jahren etwas Kunst gemacht hat, «so Richtung Warhol, als die ersten Computer-Design-Programme aufkamen», und der sich als irrsinnig schlechter Plakat-Zusammenroller entpuppt.

Individuelle Durchschnittsbürger
Mit viel Humor nähert sich der Film diesen Herren Müller an, die gerade in ihrer Alltäglichkeit und ihren kleinen, aber eigenen Macken schrullige Gestalten sind. Dabei verwundert es nicht, wenn den Müllers keine grandiosen Lebensweisheiten über die Lippen kommen. Ihre Aussagen umkreisen stets Schlagzeilen-Themen, Klischees und wiedergekäutes Wissen – Durchschnittliches eben, wenn auch alle von ihnen das Weltgeschehen aufmerksam verfolgen.

In den Passagen, in denen Christian Heynen von Thomas Müller abweicht, hat der Film hingegen seine deutlichen Schwächen. Ein namenloser deutscher Soldat in Afghanistan bringt eine übergreifende politische Dimension hinein, die er als einzelne Figur jedoch nicht ausfüllen kann. In eher schwer erträglichen Plattitüden wird das Thema des Dienstes am Vaterland angeschnitten und fallengelassen. Daneben darf natürlich auch der deutsche Ausländer nicht fehlen. So wird ein bestens integrierter syrischer Familienvater als Muster-Migrant vorgeführt. Dessen freundlich-instistierende Betonung, im Innern ein reiner Deutscher zu sein, ist zwar irgendwie berührend. Doch muss Integration tatsächlich so weit gehen? Muss ein Ausländer bereit sein, seine kulturellen Wurzeln vollständig abzulegen? Dieser Themenkomplex ist zu gross, als dass er in so kurzer Zeit angemessen behandelt werden könnte.

Die Deutschen sind keine Nazis mehr
Der Film sucht nach dem Gefühl, was es heisst, deutsch zu sein. Dies ist ein lobenswertes Vorhaben für eine Frage, die bis zur Fussballweltmeisterschaft in Deutschland kaum jemand so zu fragen getraute. Und tatsächlich, in Beschreibungen des Deutschen tauchen im Film tatsächlich erstaunlich häufig Rückgriffe auf Kriegerisches, Pedantisches, Metallisches auf. Der Ton der Interviewten, von denen sich bis auf den Soldaten und den Muster-Migranten niemand stolz auf seine deutsche Nationalität zeigt, ist aber auch immer durch einen selbstkritischen Ton gekennzeichnet. Keiner der Interviewten hat Angst, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Gemeinsames Lachen über sich selbst ist eben auch eine Art des Zusammengehörigkeitsgefühls.
Die Sohn-Generation von Thomas Müller, die heute im statistischen Mittel Jan Müller heisst, kommt im Film auch zu Wort. Jan Müller denkt, dass die Deutschen von anderen wie von sich selbst immer noch hauptsächlich über die Zeit des Nationalsozialismus definiert werden. Und obwohl man diese Zeit nie wieder vergessen dürfe, sei sie ihm selbst aber nicht mehr so wichtig, dass er «jeden Tag daran denken muss». Heynes Verdienst ist dabei sein Mut, dieser Generation eine Stimme zu geben.
Den Film in seiner vollen Länge zu sehen ist nicht unbedingt Pflicht – von Heyne und seiner Idee gehört zu haben hingegen schon.

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