Die philosophische Puppe mit britischem Humor

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: The Table – Blind Summit Theatre
Wo: Theater Spektakel, Landiwiese Nord
Wann: 29.08.2013 bis 01.09.2013
Bereich: Theater Spektakel 2013

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Der Autor

Robert Salzer: Jahrgang 1983. Seit 2007 Theater- und Filmkritiken für «students.ch». 2009-2011 Ressortleiter Kultur. Weitere Artikel publizierte er bei «nachtkritik.de», «ensuite», «Akademikerzeitung» und «Stattluft».

Die Kritik

Lektorat: Tabea Buri.

Von Robert Salzer, 2.9.2013

Moses ist eine reflektierte Puppe. „I am not alive“, stellt er schon zu Beginn klar. Dann stellt er dem Publikum seine Puppenspieler vor. Drei Personen bedienen die circa einen halben Meter grosse Figur, deren Kopf aus Karton und deren Körper aus Stoff besteht. Ein Spieler spricht und bedient den Kopf und den linken Arm, eine die beiden Beine und schliesslich steuert jemand den rechten Arm und hält den Hintern fest. «Lady, would you like to hold my bum?» fragt Moses ins Publikum und wackelt lasziv mit dem Stoffhintern. Nein, wir sind hier definitiv nicht im Kasperle-Theater!

Das in London beheimatete «Blind Summit Theatre» bezeichnet sich selbst ganz unbescheiden als Puppenspiel-Innovator. Während die alte Kunstform Theater durch die neuen Medien zunehmend bedroht werde, sei das Puppenspiel ein einmaliges Live-Erlebnis für das Publikum. Der Erfolg gibt den Briten Recht. Alleine mit «The Table» touren sie seit 2012 durch die europäischen Festivals.

«Bloddy Table»

Von niedlich hat Moses genug. Er sieht sich als ernsthaften Künstler und will nicht mehr an Kindergeburtstagen und Märchen die Attraktion sein. Über den Auftrag einer jüdischen Gesellschaft, die letzten Stunden des biblischen Moses vorzutragen, freut er sich enorm. Schon seit 40 Jahren steht er auf diesem «bloddy» Holztisch, seiner Bühne, zu dem er ein sehr gespaltenes Verhältnis hat. Moses misst mit Schritten die Grösse des Tisches aus und zeigt dem Publikum seinen Lieblingsplatz. Es ist beeindruckend wie die drei Spieler die kleine Puppe über den Tisch wirbeln lassen und wie aus Karton und Stoff eine Persönlichkeit entsteht.

Moses gibt dem Publikum dann auch gleich persönlich eine Einführung in die Grundregeln der Puppenkunst. Wichtig sei beispielsweise, dass die Figur regelmässig atme, um möglichst lebensecht zu wirken. Ausserdem sollten die Spieler den Fokus immer auf der Puppe haben, denn wo diese hinschauten, schaue auch der Zuschauer hin. Die letzte Grundregel betrifft die sogenannten «fix points» und besagt ganz einfach, dass die Bewegungen der Puppe nicht physikalisch unmöglich sein sollten. Die Einführung macht Lust, selbst einmal Hand an eine Puppe zu legen.

Das «Dead-arm-problem»

Moses Auftritt folgt einer fixen Geschichte, lässt den Spielern aber immer wieder die Möglichkeit zu improvisieren. Einer der drei Spieler fällt plötzlich aus, da er anscheinend ein technisches Problem beheben muss. Das gibt Moses Zeit, das «Dead-arm-problem» zu erläutern. Er schwingt seinen rechten Arm unkoordiniert rum und stellt fest, dass dieses Problem meist aufgrund schlechter Finanzierung auftrete, aber eben auch in solchen Situationen. Moses hilft sich nun selbst. Die Dame im Publikum, mit welcher er schon zu Beginn der Vorstellung flirtete, soll nun tatsächlich Hand an seinen Hintern und rechten Arm legen. Moses zeigt sich nun von seiner besten Seite, während der Dame die Überforderung anzusehen ist, gleichzeitig die Puppe zu steuern und deren Sprüche zu erwidern. In einem hektischen Moment reisst sie Moses eine Hand aus und verlässt geschockt und amüsiert zugleich die Bühne, um sich wieder in den Zuschauerraum zu setzen. Die Puppe nimmt es gelassen, hat sie doch schon zu Beginn des Stückes festgestellt, dass sie aus ersetzbaren Komponenten bestehe. Nun versucht der mittlerweile auf die Bühne zurückgekehrte dritte Spieler die Hand wieder an der Puppe zu befestigen, doch diese ist dann doch nicht so «cool», wie sie bisher behauptet hatte und wehrt sich mit noch bestehenden Händen und Füssen. Dass dieser Teil der Vorstellung improvisiert ist, merkt man nicht zuletzt daran, dass die Spielenden selbst Mühe haben, das Lachen über die Situation zu unterdrücken. In solchen Momenten freuen sich sowohl die Spielenden wie auch die Zuschauenden über die Illusion, die mit den einfachsten Mitteln erzeugt wird.

Auch Erwachsene scheinen das Staunen nicht verlernt zu haben, das ihnen vielleicht gerade in der Kindheit auch Puppen beschert haben. Das «Blind Summit Theatre» spielt mit dieser Erinnerung, um sie immer wieder genüsslich zu durchbrechen. Wenn Moses kurz vor Ende feststellt «I am just a puppet. What the hell do I know?», stellt die Truppe des «Blind Summit Theatres» die grosse philosophische Frage in den Raum, welche Puppenspieler eigentlich unsere eigenen Körper steuern.

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