Blumen im Schnee

Die Veranstaltung
Was: Thank you for the lovely flowers
Wo: Theater der Künste, Bühne A
Wann: 24.01.2013 bis 25.01.2013
Bereiche: Literatur, Performance, Theater
Der Autor
Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)
Die Kritik
Lektorat: Stephanie Rebonati.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Christian Felix, 26.1.2013
Laura Kaehr führt eine Oper auf. Allerdings ist nur ein Libretto aus dem Jahr 1926 erhalten geblieben. Wie soll das gehen? Neben der Regisseurin sind noch zwei Tänzerinnen auf der Bühne. Requisiten gibt es fast keine. Die drei Frauen in ihren schwarzen Spitzen- und Tüllkleidern wirken im kühlen Theatersaal etwas verloren. Und jetzt eine Oper?
Bezaubernde Komposition
Laura Kaehr bildet sich derzeit in transdisziplinärer Kunst aus. Ihr Stück «Thank You For the Lovely Flowers» ist Teil ihrer Masterarbeit. Also wendet sie ihre neu erworbenen Fähigkeiten an. Drei Filmleinwände begrenzen den Bühnenraum. Während beunruhigende Klänge den Raum zum Zittern bringen, sehen wir Ascona und Locarno auf der Leinwand, tief verschneit. Ein schönes Bild einer Landschaft, die sonst mit Palmen und Pergolas wirbt.
Der kleine Film ist für sich eine Entdeckung, weist aber über sich hinaus. Der Schnee steht hier für die Kälte – die Kälte des Kriegs, des Todes – und kontrastiert mit Blumen. Denn bald wird’s Frühling auf der Leinwand, Blüten ergehen sich in leicht verblichener Farbenpracht, während auf den Bergspitzen noch der letzte Schnee liegt. Auch im Libretto geht es um Blumen. Und Laura Kaehr erzählt von Blumen in einem Garten, schildert das rote Haus ihrer Vorfahren in Minusio. Das alles zeigt, wie die Regisseurin ihre Oper durchkomponiert hat. Bilder, Leitmotive und eine unaufdringliche Symbolik fügen die Versatzstücke aus Erzählung und Musik, Tanz und Gesang zu einem Ganzen.
Historischer Kontext
Laura Kaehr verortet ihre Aufführung politisch und historisch eindeutig. Dokumentarische Bilder aus dem Jahr 1925 zeigen die damaligen Staatschefs. Sie schliessen den Pakt von Locarno. Dieses Abkommen lässt die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden in Westeuropa aufkommen. In diesem Umfeld wirkt Urgrossvater Kaehr als Pazifist und schreibt 1926 seine Friedensoper. Er gehörte zum Umfeld der weltberühmten Künstlerkolonie auf dem Monte Veritá bei Ascona. Doch sowenig wie die Friedensoper je aufgeführt wurde, sowenig war der Frieden von Dauer.
Heute ist alles verschwunden. Am Langensee, auf dem Monte Verità – tote Hose. Das rote Haus mit dem Blumengarten – abgerissen. Bücher und Bilder, die Erinnerungen bewahrten, – gestohlen. Wir leben, sagt die Regisseurin, in einer selbstbesessenen Gegenwart, die nichts mehr weiss und nichts wissen will von ihrer Geschichte – während Laura Kaehr erschüttert wird von Erinnerungen an etwas, das sie nie erlebt hat. So tritt sie dem Verlust mit dem irrwitzigen Versuch entgegen, eine Oper aufzuführen. Sie will mit der Kunst eine Brücke in die Vergangenheit bauen. Das ist ein gewagtes Experiment.
Das Experiment
Doch Laura Kaehr wickelt das Publikum mit ihrem Charme um den Finger. Sie kokettiert mit ihren Schwächen. Ihr Englisch ist nicht bühnentauglich, von Deutsch gar nicht zu sprechen. Schauspielerisch geschieht nicht viel, der Tanz könnte zuweilen präziser sein. Der Regisseurin steht jedenfalls noch viel harte Arbeit bevor. Anderes gelingt besser – die Lieder zum Beispiel, oder das Video, das zeigt, wie sie Koryphäen des zeitgenössischen Theaters um Hilfe bittet. Die Herren wirken hilflos. Dies alles indes tritt zurück hinter eine entscheidende Tatsache: Laura Kaehr schafft es, eine Geschichte mit Gehalt zu erzählen, eine Geschichte, die berührt. Als Ganzes ist ihr Experiment gelungen.