Mutter ohne Liebe

Die Veranstaltung
Was: Talea
Wo: Zurich Film Festival, Corso 4
Wann: 04.10.2013
Bereiche: Film+Fotografie, Zurich Film Festival 2013
Zurich Film Festival
Kulturkritik ist am Zurich Film Festival 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Eva Hediger: Eva Hediger, Jahrgang 1989. Bachelor in Journalismus, Studentin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK.
Die Kritik
Lektorat: Tilman Hoffer.
Von Eva Hediger, 24.10.2013
«’Eis-Lady’ wurde Baby abgenommen», titelte eine österreichische Online-Zeitung im Januar 2012. Die ‘Eis-Lady’ stand unter dem Verdacht zwei Männer getötet und in ihrem Keller einbetoniert zu haben. Während der U-Haft gebar die Frau ein Kind. Es wurde ihr gleich nach der Entbindung vom Jugendamt weggenommen. Dieser Entscheid spaltete damals die österreichische Gesellschaft. Jung-Regisseurin Katharina Mückstein stellte sich die Frage, was bei der Freilassung der Frau passiert könnte. Ihren Erstling Talea (Österreich 2012, 75 Minuten) widmet die Österreicherin dieser Überlegung.
Jasmins (Sophie Stockinger) störrischer Blick und einsilbige Antworten sind nicht der übliche Teenager-Trotz. Die Vierzehnjährige fühlt sich einsam und deplatziert. Während sich ihre Pflegefamilie auf die gemeinsamen Ferien freut, packt sie missmutig ihre Reisetasche. Dabei gerät das Mädchen in eine handfeste Auseinandersetzung mit seiner Pflegschwester und deren Freundin. Diese schreit ihm entgegen: «Du Fotze gehörst in den Knast wie deine Mutter!» Jasmin stiehlt sich aus dem Haus. Mit dem Velo rast sie durch den Sommer, getrieben vom Wunsch nach der leiblichen Mutter.
Denn eigentlich hat Jasmin eine Mama: Eva (Nina Proll) verbrachte die letzten Jahre in Haft. Jetzt ist sie draussen und versucht Fuss zu fassen. Eine Stelle hat sie, eine Wohnung auch. Sich jetzt noch um das eigene, aber fremde Kind kümmern? Unvorstellbar. Doch Jasmin lässt nicht locker. Das Mädchen erscheint immer wieder am Arbeitsort, wartet vor dem Wohnhaus. Irgendwann lässt Eva Jasmin in die Wohnung, zeigt ihr das Schlafzimmer und alte Bilder. Die Tochter bittet um ein gemeinsames Wochenende. Die Mutter lässt sich erweichen.
Der Film begleitet die Zwei auf der mehrtägigen Reise ins österreichische Niemandsland. Er fängt die sanften Annährungen und groben Enttäuschungen gekonnt ein. Denn weder Mutter noch Tochter sind den Erwartungen und der Nähe gewachsen. Jasmin verklärt die Frau, die ihre Mutter ist. Jede Regung wird gedeutet, jede Zuneigung als Erfolg gewertet. Doch Eva will vor allem die Freiheit geniessen – mit Flirts, Drinks und Disco.
Das preisgekrönte Debüt von Haneke-Schülerin Katharina Mückstein besticht durch eine bezaubernde Liederwahl. Selten hat sich Musik und Geschehen so perfekt zusammengefügt. Ob selbstvergessenes Tanzen oder atemloses Fahrradfahren: Die Musik transportiert die Gefühle, die Gelassen- oder Getriebenheit perfekt. Diese ungekünstelte Darstellung wird durch die Authentizität der Schauspielerinnen und die langen Kameraeinstellungen unterstützt. In manchen Situationen wird fast vergessen, dass es sich um eine konstruierte Geschichte handelt. Das Verhalten der Figuren ist nachvollziehbar, die Dialoge klar. Der Film ist manchmal lustig, oft traurig – aber nie zu viel.