Richard Wagner: Genie und Vieh

Die Veranstaltung
Was: Richard Wagner: Wie ich Welt wurde
Wo: Schauspielhaus Zürich, Schiffbau/Halle
Wann: 14.06.2013 bis 29.06.2013
Bereiche: Musik, Theater
Die Autorin
Patricia Schmidt: Jahrgang 1985, studierte Publizistik, Politik und Literaturwissenschaft in Zürich, arbeitet im Consulting.
Die Kritik
Lektorat: Moritz Weber.
Dieser Beitrag wurde durch eine Patenschaft ermöglicht. Herzlichen Dank (siehe Unabhängigkeit).
Von Patricia Schmidt, 16.6.2013
«Sie müssen sich damit abfinden, dass Wagner ein genialer Komponist und zugleich ein hemmungsloses Vieh ist!» Ist das alles, was zu Richard Wagner zu sagen ist? Durchaus nicht! Aber doch alles, was gesagt werden muss, um so einziges über den Komponisten zu verstehen. So virtuos seine musikalischen Meisterwerke, so abenteuerlich seine lebenslange Flucht vor seinen Gläubigern, so triebhaft seine Liebe zu Frauen, zum Wein und so umstritten seine Schriften. Richard Wagner versteht sich als Gesamtkunstwerk und fordert Tribut.
«Meine Gegenwart belebt alles» sagt Richard Wagner (Robert Hunger-Bühler) mehr rhetorisch als argumentativ zu Anfang des Stücks. «Sofort Musik! Meine Musik!» Genauso genial und von sich eingenommen wie er das Orchester dirigiert, wirkt er als grössenwahnsinniger Marionettenspieler seiner Weggefährten. Karl Ritter (Gottfried Breitfuss) wird zum Kofferträger, Gottfried Keller (Siggi Schwientek) zur trunkenen Witzfigur und seine einstige Geliebte Mathilde Wesendonck und seine Frau Cosima Wagner (beide grossartig gespielt von Elisabeth Trissenaar) austauschbar. Wer nicht Wagner ist, wird zur Karikatur. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass selbst König Ludwig II. (Samuel Braun) sich vor dem Meister beugt – auch in sexueller Begierde – und Charles Baudelaire (grandios gespielt von Ludwig Boettger) fünfzehn Jahre nach seinem Tod nochmals aufersteht, um Wagner seine Ehre zu erbieten. «Meine Musik schafft selbst das!»
Genie, Egomane, Antisemit
Zum zweihundertsten Geburtstag Richard Wagners ehrt ihn jene Stadt, in der er neun Jahre seines Lebens verbrachte. Als politischer Flüchtling nach dem Dresdner Maiaufstand 1848 fand Wagner in Zürich Zuflucht – es sollten die wichtigsten Jahr seines Lebens werden. In einem wahren Schaffensrausch komponierte Wagner in der Limmatstadt am vierteiligen ‹Ring des Nibelungen›, erfand den Beruf des interpretierenden Dirigenten, schuf den Begriff der ‹Zukunftsmusik› und leitete mit der Komposition von ‹Tristan und Isolde› die musikalische Moderne ein. Ebenfalls in Zürich verwirklichte Wagner im Mai 1953 zum ersten Mal seine Idee der Festspiele mit eigenen Werken. Folgerichtig ist es also, die Zürcher Festspiele 2013 mit «Richard Wagner – Wie ich Welt wurde» einzuläuten.
Der Regisseur Hans Neuenfels lässt in seiner «wahren Fantasie in zwei Akten» Richard Wagner 1882 – ein Jahr vor seinem Tod auf seiner letzten Reise nach Venedig – noch ein letztes Mal in Zürich haltmachen. In seinem ehemaligen Exil, dass er eigenhändig zum musikalischen Athen an der Limmat verwandelte, lässt sich Wagner von Weggefährten feiern und von Einheimischen anbeten. Neuenfels spielt dabei mit Wagners eigener musikalischer Erzählweise, seiner Psychologie. Witz, Skurrilität und an Blasphemie gleichender Egomanie treffen dabei auf Genialität und Virtuosität sondergleichen. Aber auch Wagners Antisemitismus wird von seinem Mäzen Otto Wesendonck (Jean-Pierre Cornu) kritisch hinterfragt, als dieser aus seiner Zürcher Schrift „Der Judenthum in der Musik“ zitiert. Antworten und die Verknüpfung von Sinnzusammenhängen überlässt Neuenfels gekonnt dem Zuschauer selbst, während er Wagners Musik viel Raum einräumt (Instrumentalensemble und Solisten des Opernhaus Zürich).
Erguss, Geburt, Welt
Als Wagner zum Schluss sagt, seine Werke jahrzehntelang gezeugt und in sich getragen zu haben, spannt sich der gewaltige Erzählbogen. Die Ouvertüre zu ‹Lohengrin› habe sich ihm vor dem Flügel kniend, nackt, nur in Vorhängen aus Atlas umwickelt, in masturbativer Erinnerung an seine Schwester in nur fünfzehn Minuten ergossen. Musik ist folglich Erregung, ist Sex, ist Rausch, ist Erguss, ist Geburt, ist Welt. Und so sind Wagners Werke immer Weltentwürfe. Baudelaires anfängliche Charakterisierung von Wagners Wesenszügen in Genialität und Triebhaftigkeit könnte es kaum trefflicher ausdrücken.
«Richard Wagner – Wie ich Welt wurde» als Koproduktion des Zürcher Opernhauses und des Schauspielhaus Zürich baut der Stadt ein sinnbildliches Denkmal und der wagnerschen Musik ein Monument. Mögen die Festspiele beginnen – oder um es mit den Worten Wagners zu sagen: «Bitte, Wein!»