Observatio V – Malereisoirée
Die Veranstaltung
Was: Malereisoirée
Wo: Zürcher Hochschule der Künste
Wann: 29.11.2012
Bereiche: Bildende Kunst, Performance
Die Autorin
Ruth Schweikert: Geboren 1964, Schriftstellerin und Theaterautorin sowie Dozentin an der Hochschule der Künste Bern, lebt in Zürich.
Von Ruth Schweikert, 20.1.2013
Punkt 18 Uhr beginnt der Schnelldurchlauf; exakt 30 Minuten gesteht Thomas Müllenbach im 1. Teil der Soirée – Hinweise auf Ausstellungen – sich und den Studierenden zu, die aufmerksam und schreibbereit dasitzen oder mit leichter Verspätung erst eintrudeln – knapp dreissig Leute werden es bis zum Schluss der offenen Veranstaltung sein –; alles, was ihm in den letzten paar Wochen zu aktuellen Ausstellungen in die Finger gekommen ist, hat der Dozent und Künstler mitgebracht, Einladungen zu Vernissagen und Besprechungen in NZZ, Sonntagszeitung, Kunstbulletin und anderswo; die Ausstellungen sind (wären!) in London zu sehen, in Berlin, Basel, Zürich, von fern bis nah; und das ganze Material jagt T. M. durch den Durchlauferhitzer seines Denk- und Sprechapparats, während er gleichzeitig die Papierflut auf dem riesigen Tisch ausbreitet, ja die Zettel auf den Tisch regnen lässt, Abbild der täglichen (Papier)Sintflut, die unsere Kommunikationsgesellschaft hervorbringt, bloss wo ist die Arche, die uns darüber hinweg trüge, Ordnung und Orientierung schaffend; Thomas Müllenbach versucht es, indem er die Flut kommentiert, etwa, dass die Kunst der DDR gerade eine Umwertung erfahre – sahen wir mit «westlichem Blick» zu Lebzeiten der DDR stets nur die Funktionalität eines künstlerischen Werks (z.B. galt allein die Tatsache, dass Metallarbeiter gemalt wurden, als Indiz für «Staatskunst») –, nehmen wir heute auch die Art und Weise der Darstellung wahr, erkennen plötzlich die leise Ironie dahinter; und wissen gleichzeitig, dass die CIA zur Zeit des Kalten Kriegs über verschiedene Kanäle international bekannte europäische Künstler (wie Heinrich Böll!) unterstützte oder bestimmte Kunstrichtungen förderte wie den «Abstrakten Expressionismus», im Versuch, eine «Entideologisierung» = antikommunistische Haltung der einflussreichsten Kulturakteure zu erreichen.
Reise durch Zeit und (Ausstellungs-)Raum
Weiter geht es mit Informationen im Sekundentakt; dass die Schönheit von Torso und Ruine in der Renaissance «entdeckt» wurde, erfahren wir, und dass Louise Bourgeois mit den überdimensionierten Spinnen ihrem ambivalenten Verhältnis zu ihrer Mutter Ausdruck verliehen habe; Schutz und Bedrohung, das leuchtet ein, und ich wünschte mir trotzdem, es gäbe keine so einfache Erklärung, bzw. ich wünsche mir, dass sich das Wissen um diese «Bedeutung» nicht vor das Erleben stellt, das Rätselhafte und Unergründliche ihrer Kunst mit dieser «Erklärung» nicht auf allzu billige Weise «entsorgt» wird; obwohl ich mitnichten eine Freundin der Mystifizierung von Kunstwerken bin, so hoffe ich zumindest, revoltiert etwas in mir, wenn solche Erklärungen angeboten werden – selbst dann, wenn sie, wie das wohl bei Louise Bourgeois der Fall ist, von der Künstlerin selber stammen.
Wenn Thomas Müllenbach eine Ausstellung schon gesehen hat, gibt er dezidierte Empfehlungen ab, hält den Daumen hoch oder runter, wird durchaus explizit (was er später in den Diskussionen zu Studierendenarbeiten eher unterlässt). «Es ist einfach zum Kotzen, wenn einer eine winzige Idee hat und sie dann aufbläst; macht so etwas bitte nicht!», beschwört er die Studierenden mit sichtlicher Lust (auch an der Provokation); er ermuntert sie gleich mehrfach, sich eine eigene Meinung zu bilden. «Geht stattdessen ins Kunsthaus Zürich, das ja zum Glück jetzt einen Erweiterungsbau bekommt, Gaugin, das druckgrafische Werk, Rätsel über Rätsel, (ach wie schön, Gaugin darf seine Rätselhaftigkeit behalten!) was er da gemacht hat, einfach grossartig.»
Eigenes zeigen
Da redet sich jemand ins Feuer, denke ich, legt sich ins Zeug, verausgabt sich, nicht um dem Chaos der (Ausstellungs)Welt allenfalls Herr zu werden, im Gegenteil: er reproduziert es, um es sichtbar zu machen, die Anstrengung auch, die es bedeutet, in diesem und mit diesem Chaos zu leben. Dazu passt eines seiner eigenen künstlerischen Projekte, das ich am nächsten Tag auf YouTube finde, «Halboriginal» heisst es, und versammelt eben jene Zettelflut; siehe Vernissage.tv: Halboriginal is the title of a two weeks special project at Rotwand Gallery in Zürich. Since 2005 Swiss artist Thomas Müllenbach has collected every flyer and exhibition invitation that has been sent to him. Then he has reinterpreted these invitations in watercolors. The gallery Rotwand is now showcasing a group of over 400 of these watercolors. Among them are invitations for exhibitions with artists such as Albrecht Dürer, General Idea, Sigmar Polke, Jasper Johns, Dawn Mellor, and many others.; Thomas Müllenbach ist ein Vielmaler; praktisch täglich produziert er Bilder, zeichnet gerne vor dem Schlafengehen, was ihm vor Augen steht am Ende eines Tages; künstlerisches Zähneputzen nennt er das; mit schnellem Strich entsteht wie nebenher eine Chronik des Alltags, eine Form der Zeitgenossenschaft.
Eine strenge Auswahl davon – die meisten Zeichnungen landen im Altpapier – stellt er zum Abschluss der Malereisoirée zur Diskussion; auch wenn die Lust oder der Mut der Studierenden, die Zeichnungen (kritisch) zu befragen, begrenzt ist, scheint mir die Bereitschaft, sich diesem Prozedere auszusetzen, doch nicht selbstverständlich.
Das Herzstück der Malereisoirée nämlich ist das Gespräch über eigene Arbeiten, die Studierende aus verschiedenen Departementen mitgebracht haben; Fotos, Zeichnungen, Collagen und Ölbilder sind es an diesem Abend. Im Idealfall, scheint mir, wäre das zunächst eine Beschreibung dessen, was vorliegt; was zeigt sich in den vielleicht fünfzig Fotos in Postkartengrösse, die eine Studentin auslegt, lauter blühende Bäume an einem Frühlingstag, rauschhaft innerhalb von zwei Stunden fotografiert, was vermittelt sich, welche Fragen stellen sich, welche Assoziationen haben die Betrachter, welche Zusammenhänge stellen sie her; aber auch: wie sehr interessiert sie, was sie sehen, was interessiert sie daran, etc. Stattdessen herrscht weitgehend Ratlosigkeit; die Studentin möchte die Fotos vergrössern, Weltformat vielleicht; bloss wozu? Einem Impuls zu folgen ist, denke ich, im besten Fall die Basis für eine künstlerische Arbeit, aber niemals ausreichend; herauszufinden gälte es, was die vorliegenden Fotos denn bedeuten könnten, was mit einer Vergrösserung erreicht würde, jenseits der puren Grösse; (mir fallen die Fotoarbeiten von Hans Danuser ein, Frozen Embryos, schwarzweiss, Bilder, die aus einer Welt stammen, die Nichtmedizinern nicht zugänglich ist;) wie sie gelesen werden, was sie vermitteln über das Abbilden hinaus; Thomas Müllenbach spricht von der Arbeit von Fischli/Weiss, auch sie haben Blumenbilder gemacht; diese allerdings reflektieren, so glaube ich mich zu erinnern, auf raffinierte Weise, unsere Sehnsucht nach Schönheit und Kitsch; vielleicht lädt der Verweis die junge Künstlerin ein, einen Schritt weiterzugehen in ihrer Arbeit oder vielmehr innezuhalten und einen Schritt zurückzutreten, vermag sie doch noch nicht einmal zu sagen, nach welchen Kriterien sie ihre Auswahl getroffen hat, wonach sie sucht, ob sich dahinter ein Erkenntnisinteresse verbirgt.
Existentielle Fragestellungen?
Am Interesse arbeiten – das ist denn auch eine Empfehlung, die Thomas Müllenbach gibt; eine andere Studentin hat sich wissenschaftliche Fotografien in Populärmedien als Vorlagen genommen und diese übermalt; einigermassen willkürlich scheinen dabei Auswahl und die eingesetzten Mittel; die Studentin ist denn auch noch nicht in der Lage, zu erläutern, wonach genau sie sucht, was sie fasziniert; es fehlt entweder an Präzision oder an Freiheit im Umgang mit den Vorlagen, meint Thomas Müllenbach, und ich frage mich, ob es denn niemanden gibt, der oder die ein Thema hat, das ihn oder sie umtreibt, eine vielleicht sogar existentielle Fragestellung; oder ob hier alle bloss unter institutionalisiertem Produktionszwang stehen; da legt zum Glück eine dritte Studierende ihre Arbeit aus, Zeichnungen, Bilder und Fotos von Armensiedlungen in Peru, und hier endlich wird etwas sichtbar, der Unterscheid auch zwischen Abbild und künstlerischer Bearbeitung, die Unmöglichkeit auch, einzudringen oder vorzudringen zu den Menschen, die dort leben, zu ihrer Lebensrealität, die indessen mittels Zeichnungen imaginiert wird; hier endlich wird das Gespräch lebhaft und fruchtbar, werden unterschiedliche Wahrnehmungen formuliert und diskutiert, wird die Gruppe, die vielen verschiedenen hier Anwesenden zum Mehrwert.
Es folgen zwei weitere Präsentationen, Stadtcollagen und Ölbilder; insgesamt bin ich überrascht über die wenig ausgebildete Fähigkeit der Studierenden, das eigene Tun zu reflektieren, bzw. überhaupt erst wahrzunehmen und mittels Assoziation und Imagination einen Horizont für die eigene Arbeit zu entwickeln, oder sind es Angst und Scheu; die Angst, nicht gut genug zu sein, die Studierende daran hindert?
Dass es die Malereisoirée gibt, dass sie so gut besucht ist, dass so viele Studierende bereit sind, sich den Augen und Denkapparaten anderer Studierenden auszusetzen, ausserhalb eines vom jeweiligen Departement vorgegebenen Rahmens, stimmt dennoch zuversichtlich.