Eine Collage ohne neue Perspektive

Die Veranstaltung
Was: Love.State.Kosovo – Fleischlin, Schupp, Ismaili & Rexhepi
Wo: Rote Fabrik, Aktionshalle
Wann: 29.08.2013 bis 31.08.2013
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2013
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Tabea Buri: Ethnologin, Jahrgang 1987
Die Kritik
Lektorat: Tilman Hoffer.
Von Tabea Buri, 4.9.2013
Eine Reise kann Horizonte erweitern. Sie kann zum Abbau von Vorurteilen beitragen. Und sie kann Stoff für eine Inszenierung bieten. Eine Reise als Grundlage bietet aber keine Garantie für ein spannendes oder gar bereicherndes Theaterstück.
Vor einem Jahr reisten die beiden Performerinnen Beatrice Fleischlin und Antje Schupp in den Kosovo, um ihrem Unwissen und ihren Vorurteilen gegenüber dem jüngsten Staat Europas etwas entgegenzusetzen. Gemeinsam mit zwei kosovarischen Künstlern verarbeiteten sie ihre Erlebnisse zu der collageartigen Performance «Love.State.Kosovo», in der vier unterschiedliche Perspektiven auf den Kosovo zusammentreffen sollen – ein vielversprechendes Projekt, dessen Potenzial jedoch leider nicht voll ausgeschöpft wurde.
Fehlender Leim
Es ist eine Zusammenstellung von erzählten Erinnerungen, kleinen Choreographien und einzelnen Performances. Die Kooperation der zwei hiesigen Theaterschaffenden mit den beiden kosovarischen Künstlern setzt dabei hübsche Kontraste in die Collage: Der junge Performer Astrit Ismaili (Jahrgang 1991) thematisiert das Verwandlungspotential eines jeden Menschen; nackt wird er zu Stuhl oder Tisch und wünscht sich die Verwandlung in ein Seepferdchen. Die Idee berührt, werden doch viele kosovarische Migranten durch die öffentliche Meinung zu Figuren gemacht, die sie nicht sein wollen. Der zweite Kosovare Labinot Rexhepi gehört zur ersten Generation zeitgenössischer Choreographen in seinem Land und zeigt mit Abstand die stärkste Bühnenpräsenz der Gruppe. Aus einem kleinen Volkstanzelement entwickelt er einen eleganten Wirbelsturm, mit dem er sich selbst über die Bühne jagt, und zeichnet damit ein ganz persönliches Bild des Kosovo. Ismaili und Rexhepi lassen das Publikum erahnen, was die beiden Westeuropäerinnen meinen, wenn sie schwammig von «dieser starken Energie in Pristina…» erzählen.
Doch auch wenn diese Szenen teilweise anregend sind: Es fehlt der Leim in der Collage. Die einzelnen Elemente des Stücks werden nicht verknüpft oder kontrastiert, sondern bleiben lose nebeneinander stehen. Folglich treten die unterschiedlichen Sichtweisen der vier Darsteller nur selten in einen Dialog miteinander; nur ein einziges Mal wird eine Uneinigkeit über die angemessene Darstellung des Kosovos thematisiert. Doch anstatt diesen Konflikt weiterzuführen, laufen die Schauspieler wild gestikulierend von der Bühne, um sich nach einer kurzen Musikunterbrechung wohlversöhnt der nächsten Szene zu widmen.
Allzu bekannte Perspektiven
Die konfliktscheue Herangehensweise zeigt sich denn auch in der fehlenden Ausarbeitung der einzelnen Collageschnipsel. Immer wieder eröffnen sich Möglichkeiten für die Weiterentwicklung von Gedanken, aber fast jede Chance wird verpasst. In einer Szene korrigiert sich Fleischlin beschämt für ihre Formulierung „dieses unterentwickelte Land“ und bricht ihr Sprechen ab. Alternative Möglichkeiten, ehrlich und direkt über den Kosovo zu sprechen, werden nicht gesucht – oder zumindest nicht gefunden. So bleibt es bei der Darstellung allzu bekannter Perspektiven: Ein Innerschweizer lässt seinem Hass auf die fremden Fötzel freien Lauf, der gewissenhafte Nerd präsentiert ergoogeltes Wissen und die beiden Performerinnen karikieren ihre eigene Naivität als symptomatisch für Westeuropäerinnen („Das ist ja gar nicht so weit weg! Da tut sich ja was!“).
Weder provozierend noch konstruktiv
Die Auseinandersetzung mit dem Kosovo scheint ganz einfach zu kompliziert, wie Schupp in einer aufgesetzten Rap-Einlage erklärt: „Wenn Du über die Rolle des Staates im Kosovo sprechen willst, dann musst Du über Steuern sprechen. Wenn Du über Steuern sprechen willst, musst Du über Geld sprechen. Wenn Du über Geld sprechen willst, musst du darüber sprechen, dass in Kosovo viele Leute von weniger als einem Euro pro Tag leben…“ Trotz des präsentierten Wikipediawissens sind die Darsteller durch die Komplexität des Themas schlichtweg überfordert. In einer der zwar wirksamsten, aber auch simpelsten Szenen wird das überdeutlich: Die vier Performer stecken sich die Flaggen von Kosovo und anderen Staaten in den hinteren Bund ihrer Hosen, um im „Twerking-Style“ mit ihren Hintern zu wackeln und ihre Abscheu gegenüber dem Spiel der internationalen Politik zu zeigen. Wenn auch weder provozierend noch konstruktiv, so sieht das allerdings wenigstens lustig aus.
Mehr oder minder verkrampft ziehen sich am Ende alle vier bis auf die Unterwäsche aus, um gemeinsam mit Nina Simone im Hintergrund ihre Version von «Feelings» zu singen. Da stehen sie, reduziert auf das Nationenübergreifende, Menschenverbindende: den nackten Körper und die Gefühle. Ein schönes Bild. Aber auch ein ziemlich abgedroschenes.