Treiben in Erinnerungen

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: La Laguna – Agostina López
Wo: Theater Spektakel, Süd
Wann: 23.08.2013 bis 25.08.2013
Bereich: Theater Spektakel 2013

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Carmen Beyer: geboren 1986 in Berlin-Brandenburg, derzeit Studentin im Masterstudiengang «Kulturpublizistik» an der Zürcher Hochschule der Künste.

Die Kritik

Lektorat: Antonia Steger.

Von Carmen Beyer, 27.8.2013

Unweit eines Sees, in der Stille der Nacht, sind sie mit dem Auto stehen geblieben. Ein Vater, mit seinen zwei Teenager-Töchtern auf der Rückbank, hat unvermittelt Halt gemacht; will und kann die Fahrt nicht fortsetzten, deren erklärtes Ziel ein Besuch der verunfallten Grossmutter ist. Hier, an diesem buchstäblichen Zwischenort, beginnen Vater und Töchter die Erinnerungen ihrer Kindheit wach zu rufen und an ihnen festzuhalten, um den Morgen mit seiner ungewissen Zukunft herauszuzögern. Und hier beginnt für das Publikum eine dichte, poetische Theaterminiatur.

Mit wenig viel erzählen

Dafür braucht die junge argentinische Regisseurin Agostina López nur eine schlichte Kulisse: Die Bühne ist sparsam beleuchtet, ein schwarzer Vorhang auf der Hinterseite versteckt den Platz, an dem sich ein See befinden soll, und lediglich ein grauer Volvo, der nur in seiner hinteren Hälfte dargestellt ist, hebt sich aus der Dunkelheit des Raumes hervor. Es ist ein Setting, an dem das Bühnenbild hinter die Sprache und Gestik tritt – und das damit ganz im Zeichen des zeitgenössischen Theaters in Argentinien steht. Nur wenig Geld haben die Theatermacher dort zur Verfügung und Subventionen gibt es fast keine, sodass auf anspruchsvolle Bühnenrequisite verzichtet wird. Stattdessen entwickelte sich ein erzählstarkes Theater, das abseits der grossen Bühnen besteht – versteckt in Keller und auf Dachböden. Theater bedeutet hier, viel mit wenig Mitteln zu erzählen. Das merkt man auch dem Stück der 26-jährigen López an.

Poetische Gefühlswelten

Ihr zweites Werk «La Laguna» lebt von einer narrativen Kraft, die sich ganz auf die Figuren und deren Gefühlsleben konzentriert. Stück für Stück lassen sie ihre Kindheitserinnerungen aufleben und schwelgen in ihnen wie in einer heilen Lagune, fernab der ungewissen und beängstigenden Zukunft. Dabei vertauschen sich zunehmend die Rollen der drei: Die Verantwortung wechselt vom erwachsenen Vater zur ältesten Tochter Maria, die sich in der Rolle der mahnenden Erwachsenen wiederfindet. Immer mehr stehen sich die unterschiedlichen Sehnsüchte der drei gegenüber, und in immer mehr Momenten wird der Widerspruch zwischen idealisierter Erinnerung und erlebter Wahrnehmung deutlich. Theater versteht sich dadurch bei Agonstina López auch als ein Ort, der die Erfahrungen und Bedürfnisse der verschiedenen Lebensalter offenlegt und sie zu verarbeiten versucht.

Diese Momente drückt sie mit einem guten Gespür für poetische Sinnbilder aus und erweitert erzählend den Raum über die Grenzen der kargen Bühne hinaus: Das gehälftete Auto fungiert als Refugium für die Figuren. In ihm suchen sie Schutz, um ihren Emotionen freien Lauf zu lassen und sich von den Erinnerungen der anderen örtlich abzutrennen. Auch der See – la laguna – wird durch symbolische Bedeutung angereichert: Er ist idealisierter Fluchtpunkt und birgt gleichzeitig eine dunkle Anziehungskraft in sich, in der sich die Figuren zu verlieren drohen. Seine Platzierung ausserhalb des Bühnenraums verstärkt seine zwiespältige Existenz und verleiht dem Stück zuweilen eine mysteriöse, fast unheimliche Atmosphäre.

Lachen und Schweigen

Doch das Stück beeindruckt nicht nur durch das erzählerische Feingefühl der Regisseurin, sondern auch durch die starken schauspielerischen Leistungen, die auf der minimalistischen Bühne voll zur Geltung kommen: Sie ermöglichen es, dass das Publikum heiter auflacht, wenn sich die beiden Töchter (Martina Juncadella, Denise Groesman) mit Rum betrinken und um die Wette rülpsen. Oder dass es betroffen schweigt, wenn die jüngere Tochter kindlich-naiv einen chinesischen Gesangsauftritt nachspielt, der sich schleichend in den beängstigenden Zeugenbericht einer Bluttat steigert und die Grausamkeit der Realität deutlich zurück auf die Bühne bringt. Und bei allem mag das Publikum einen Teil von sich in den Figuren entdecken: Die kindliche Verspieltheit, den erwachsenen Ernst und den jugendlichen Aufruhr.

Am etwas abrupten Stückende wirkt es deshalb so, als hätten sich die Zuschauer ebenfalls an den Ort der Erinnerungen zurück gezogen: Sie drehen sich um, warten mit dem Applaus; wissen nicht, ob es weiter geht oder schon vorbei ist; wollen scheinbar noch etwas bleiben, um zu erfahren, ob und wann die Familie ihre Reise fortsetzen wird. Doch das alles erzählt López nicht mehr – und das ist auch gut so. Denn nur so kann ihre Theaterminiatur noch einmal an Kraft gewinnen: Der Zuschauer begegnet dem unbestimmten Ende; nimmt seine offenen Fragen und Interpretationen alleine mit auf den Heimweg. Ähnlich wie es auch den Figuren in ihrer Lagune ergeht, an denen es letztendlich liegt, ihre Entscheidungen selbst in die Hand zu nehmen und sich dem Unbekannten ihrer Zukunft zu stellen.

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