Lügen, betrügen und sich weiter vergnügen

Die Veranstaltung
Was: Ich, treu, suche
Wo: Keller 62, Rämistrasse 62, 8001 Zürich
Wann: 17.04.2013 bis 20.04.2013
Bereich: Theater
Die Autorin
Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.
Die Kritik
Lektorat: Valérie Wacker.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: klima das theater (siehe Unabhängigkeit).
Von Fabienne Schmuki, 19.4.2013
«Ich wollte es dir schon lange sagen, aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, das Schweigen zu brechen.» Dieser Einstiegssatz bereitet den Weg für eine grosse Enthüllung, und davon gibt es in Ich, treu, suche wahrlich genug. Denn anstatt Zeit mit der Liebe zu verschwenden, geht das Bühnenstück von Eveline Ketterer und Marco Hausammann-Gilardi geradezu verschwenderisch mit Klischees um, die zwar häufig plump und dann aber doch wieder nur zu wahr sind.
Zwei und zwei gesellt sich gern
Auf der kleinen Bühne des Keller62 begehren, belügen und beelenden sich zwei Frauen und zwei Männer. Unterschiedlicher könnten der Geschäftsmann Martin, seine Ehefrau Stefanie, die promiskuitive Nina und der Biologiestudent Sebastian auf den ersten Blick nicht sein. Und doch haben sie eines gemeinsam: Am meisten Gedanken machen sie sich um sich selbst.
Martin ist seiner Frau längst nicht mehr treu. Die regelmässigen Abstecher ins Bordell werden über die Geschäftsspesen verrechnet, für seine «Geschäftsreisen» fliegt er nicht nach Japan, sondern in die Arme seiner Geliebten. Stefanie ahnt von den Seitensprüngen ihres Partners, ist aber zu sehr damit beschäftigt, ihren Fitnesstrainer, den Biologiestudenten Sebastian, zu umwerben. Dieser interessiert sich allerdings mehr für sein Spezialgebiet, die Murmeltiere, als für die Mittvierzigerin. Stefanie stellt für ihn einen unmittelbaren Zugang zu grossem Vermögen dar, denn mit diesem Geld könnte er seinen Traum vom ewigen Studenten verwirklichen. Und die schöne Nina hat keine Geldsorgen, dafür Terminkollisionen: Während sie mit Freund, Ex-Freund und Ex-Mann jongliert, verliebt sie sich Hals über Kopf in den verheirateten Martin.
Die Klischeeschlacht entwaffnet
Während das Schicksal seinen Lauf nimmt, wird Klischee um Klischee abgehandelt. Von der Hausfrau, die ihrem Mann die Socken wäscht, zur Frage, ob die gereizte Geliebte, die plötzlich alles andere als reizend ist, denn «ihre Tage» habe: Eveline Ketterer, die das Stück geschrieben hat und auch die Rolle der Stefanie übernimmt, gräbt tief in der Klischeemottenkiste. Überraschenderweise aber entfalten diese, nicht zuletzt auch durch die starke Überzeichnung der Charaktere, eine unerwartete Wirkung: Sie entwaffnen die vier Protagonisten im Nu und zeigen deren wirkliche Schwäche, nämlich die Unfähigkeit, die Bedürfnisse ihrer Partner für einmal in den Mittelpunkt zu stellen. Stattdessen ärgern sie sich über Kleinigkeiten und lassen ihren Frust in eigens verfassten Briefe raus, die – wenn laut vorgelesen – ihre meist offensichtlichen Gedanken ausformulieren und dem Stück dadurch noch mehr Kontur verschaffen.
Gegen Ende treibt es das Stück mit den Stereotypen allerdings doch etwas zu bunt. Als die beiden Männer nämlich im Knast sitzen, beginnen Martins Ex-Frau Stefanie und seine Ex-Geliebte Nina miteinander anzubandeln. Das wirkt dann doch etwas uninspiriert und nimmt dem sonst kurzweiligen Stück den Wind aus den Segeln.
Ansonsten aber ist die Leistung der zwei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen beeindruckend, allen voran Eveline Ketterer und René Schnorz in den Rollen der sich betrügenden Ehepartner. Und wenn alle Briefe zerrissen sind, alle Gefühle niedergetrampelt und alle Liebesschwüre nichtig, weiss auch der selbstsichere Martin nicht mehr, an wen er sich wenden soll. Also wendet er sich an Gott. Vielleicht ist bedingungslose Liebe übernatürlich. Wenn diese Aussage in Ich, treu, suche steckt, dann lautet die implizite Aufforderung: Verschwenden wir doch weiterhin viel Zeit damit, an sie zu glauben.