Kilian Ziegler und Hazel Brugger und ihre verflixte Kür

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Gopfertelli nonemal – vom Fluchen als Sprachgewalt (eine verfluchte Lesung)
Wo: Casinotheater Winterthur
Wann: 25.10.2013
Bereich: Zürich liest 2013

Zürich liest

Kulturkritik ist am Buchfestival Zürich liest. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Janine Meyer: Seit Herbst 2013 studiert Janine im Master publizieren & vermitteln an der Zürcher Hochschule der Künste. Davor absoliverte sie den Bachelor ZFH in Kommunikation in Winterthur, hat Ausflüge in den Journalismus, die Werbung und auch die PR gemacht, bevor sie sich in der new economy an Aperol Spritz und lange Arbeitszeiten gewöhnt hatte – und jetzt eben wieder studiert. Daneben arbeitet sie als freie Journalistin und glühende Tastatur (akademanie.tumblr.com). Geboren ist sie im Oktober 1983, ihre Grossmutter sagt, es sei unerhört heiss gewesen für diese Jahreszeit.

Die Kritik

Lektorat: Nadine Burri.

Von Janine Meyer, 28.10.2013

Die verfluchte Lesung im Casinotheater Winterthur ist nichts für Leute mit sensiblen Ohren. Konnte man sich aber damit anfreunden, dass es einen Abend lang Beleidigungen in rasanter Folge von der Bühne hageln würde, wurde man belohnt. Belohnt mit etwas mehr als 60 Minuten unterhaltsamen Fluchens, lustvollen Gezeters und viel Wissen zum Thema «Feuchtes und Schmutziges in der Sprache».

Die Slam-Poeten Hazel Brugger und Kilian Ziegler betreten schweigend die Bühne, lassen ihren ernsten Blick über das Publikum schweifen. Die Veranstaltung ist gut besucht, ein erstes, noch verhaltenes Kichern ist zu hören, das schnell in lautes Lachen übergeht, als die beiden endlich anfangen. Gelacht wird, weil die beiden zwar wie verklemmte Teenager auf der Bühne stehen, sich aber nach allen Regeln der Kunst genussvoll beschimpfen. Das klingt etwa so:

«Kilian, du bist es, der dem kleinen Maulwurf auf den Kopf gekackt hat.»
«Und du bist ein kleiner Maulwurf…»
«Wenn ich dich anschaue, dann fühl ich mich wie ein partnerloses Reh: Ich hab keinen Bock!»
«Kilian, deine Eier sind so weich, die haben früher mal als Verpackungsmaterial bei Ikea gearbeitet.»
«Deine Brüste sind so flach, sie arbeiten als Jokes bei Giacobbo/Müller.»

Das geht eine ganze Weile so weiter, soll aber an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Wirklich lehrreich wird es nämlich erst dann, als Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger die Bühne betritt.

Exkrementelles und Sexuelles

Da ist er also, dieser ältere, nicht allzu grosse Herr, der mit seinen wachen blauen Augen über das Rednerpult schielt, das Publikum mustert und dabei von seiner Faszination zum Thema Fluchen spricht. Er doziert nicht zum ersten Mal, Hans-Martin Gauger ist emeritierter Ordinarius für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Freiburg und passionierter Fluchforscher.

Er hat festgestellt, dass das Deutsche einen Sonderweg begeht, wenn es ums Fluchen geht: «Wenn wir Deutschen beleidigen, fluchen und überhaupt vulgär werden, verwenden wir normalerweise Ausdrücke, die sich auf Exkrementelles beziehen, während unsere Nachbarsprachen zu diesem Zweck fast immer ins Sexuelle gehen». Ganz sachlich illustriert er das mit einem Beispiel aus dem Holländischen, das für den Ausdruck «sich beschissen fühlen» den Ausdruck «sich hodig / mösig fühlen» kennt. Immerhin, das Holländische wahrt die Genderkorrektheit.

«Fluchen Sie bewusster?»

Nach dieser ersten Vorlesung wird Hans-Martin Gauger auf der Bühne von Kilian Ziegler interviewt, der den Wissenschaftler ganz allgemein zur Motivation und zum Forschungsinteresse befragt, aber auch, ob dieser nun bewusster fluche. Hans-Martin Gauger denkt einen Augenblick nach, wählt seine Worte mit Bedacht und verneint dann. Allerdings, so fügt er an, höre er heute viel gelassener zu.

Montagsmaler mal unanständig

Nach der kurzen, aber aufschlussreichen Interviewsequenz darf Hazel Brugger zurück ans Mikrofon und stellt sichtlich amüsiert ihr Lieblingscomputerprogramm vor, das Paint. Wir spielen Montagsmaler, schliesslich ist «Interaktivität» das Zauberwort schlechthin – ganz besonders beim Fluchen. Sie hat auch den «Sack der Schande» mitgebracht, in dem sich kleine Geschenke für die erfolgreichen Teilnehmer finden. Der «Sack der Schande» übrigens ist eine Plastiktüte vom Discounter mit dem schrägen roten i in der Mitte des gelben Kreises auf blauem Grund

Das Publikum spielt begeistert mit, denn wann darf man fremden Menschen schon mal ungeniert und ungestraft Dinge wie «Schofseckel», «Arschgiige» oder «Hackfresse» an den Kopf werfen? Das Publikum ist begeistert und vermag selbst das letzte Bild des Fussballers mit dem Hackfleisch auf dem Gesicht zu erraten. Und zwar schnell.

Ein weiterer wissenschaftlicher Einschub von Hans-Martin Gauger löst die Schweinereien noch einmal ab, bevor Hazel Brugger und Kilian Ziegler zum fulminanten «Rap» zum Schluss ansetzen und das tränenlachende Publikum mit Ausdrücken wie «Gaggiarschlochfickenscheissebumsen… Bügelschwengelfotzefratze… Gopferdeckelgopferdammi… Nazivoglepoposteinerschüelerphotoshopper…» in den Abend entlassen.

«Das Feuchte & das Schmutzige, kleine Linguistik der vulgären Sprache» von Hans-Martin Gauger ist erschienen im Verlag C.H. Beck.

 

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