Die Kunst der Freiheit

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Geh mir aus der Sonne – Ofira Henig & Ensemble
Wo: Rote Fabrik, Aktionshalle
Wann: 17.08.2013 bis 19.08.2013
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2013

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Der Autor

Robert Salzer: Jahrgang 1983. Seit 2007 Theater- und Filmkritiken für «students.ch». 2009-2011 Ressortleiter Kultur. Weitere Artikel publizierte er bei «nachtkritik.de», «ensuite», «Akademikerzeitung» und «Stattluft».

Die Kritik

Lektorat: Antonia Steger.

Von Robert Salzer, 20.8.2013

«Die Freiheit der Kunst ist gewährleistet», besagt Artikel 21 der Schweizerischen Bundesverfassung. Die Politik soll die Freiheit der Kunst nicht einschränken. Was im heutigen Europa selbstverständlich ist, gilt in manchen Teilen der Welt noch nicht. Auch in der Vergangenheit finden sich viele Künstler, die aufgrund der politischen Verhältnisse ihrer Zeit dafür kämpfen mussten, unabhängig zu sein. Ofira Henigs «Geh mir aus der Sonne» nimmt sich diesem Themengebiet an. Als israelische Theatermacherin ist die Frage nach der Freiheit der Kunst und der Vereinnahmung durch die Politik in ihren Arbeiten äusserst relevant. Passend zur Thematik liess Henig das Projekt nur von europäischen Institutionen unterstützen und verzichtete auf jegliche israelischen Fördergelder.

Mit Heinrich Heine und Federico Garcia Lorca an einem Tisch

Auf einer kargen schwarzen Bühne, die an einen leeren Proberaum erinnert, spielt eine Schauspielerin Henig. Sie erzählt von biografischen Erlebnissen und der Theaterarbeit in Zeiten von Unsicherheit und Krieg. Unterstützt wird sie von den Dichtern Heinrich Heine und Federico Garcia Lorca, die von ihren eigenen Schwierigkeiten berichten, frei Kunst auszuüben. Der Abend hat eine grosse Ruhe und Konzentration. Die Schauspieler sprechen vorwiegend Monologe, die collageartig zusammengeschnitten wurden. Zwar versuchen die Figuren, sich gegenseitig wahr zu nehmen und zumindest körperlich aufeinander zu reagieren, trotzdem entsteht so wenig Reibung. Henig vertraut alleine auf die Kraft der Erzählung und lässt praktisch jegliche szenische Interaktion weg. Das funktioniert wunderbar, wenn die Geschichten von Heine und Lorca eine eigene Spannung erzeugen, wenn Heine über die Anforderungen der Gesellschaft an seine Texte erzählt oder Lorca über die Momente kurz vor seiner Exekution, doch gibt es auch Passagen, die weniger spannend sind und daher den Abend manchmal etwas vor sich hin plätschern lassen.

Riefenstahl kommt hinzu

Lorca und Heine scheinen dann aber doch nicht genügend Material zu liefern. Nachdem beide Figuren ihren Tod beschreiben, nehmen sie an der Seite der Bühne Platz und folgen bei einem Glas Wein den weiteren Diskussionen neuer Figuren. Nun kommt der grosse Auftritt von Leni Riefenstahl. In einer interviewartigen Szene erzählt sie, wieviel Freiheit ihr vom Naziregime (nicht) gewährleistet wurde, um den Reichsparteitag in Nürnberg zu dokumentieren. So beschreibt Riefenstahl in grösster Dramatik vor allem ihre Treffen mit Hitler. Auf die Frage nach einer faschistischen Ästhetik reagiert sie ausweichend. Es ist beeindruckend, wie es die palästinensische Schauspielerin Salwa Nakra schafft, in ihrer Spielweise Distanz zur Figur zu erzeugen. In jedem Moment ist der Ekel vor der eigenen Figur spürbar. Als schliesslich alle Figuren – bis auf Henig – sambaartig tanzend und mit blonden Riefenstahl-Perücken den Raum verlassen, scheint dies ein passender Schlusspunkt des Abends zu sein, doch das historische Personal ist noch nicht ausgeschöpft…

Capa … und Yussuf

Als nächste Figur folgt Robert Capa. Er erzählt von seiner Arbeit als Kriegsreporter im zweiten Weltkrieg. Sein Konflikt bestand darin, zwischen den Fronten zu stehen. So ist er als Reporter weder Soldat noch Zivilist, weder Künstler noch Soldat und kehrt als Exileuropäer mit den Alliierten Truppen nach Europa zurück, um Eindrücke aus dem Krieg zu sammeln. Als letzte Figur, und neben der Figur der Regisseurin die einzige noch lebende, erscheint Yussuf. Er ist palästinensischer Schauspieler und erzählt, wie es in Cannes beinahe zu einem Eklat kam, als er den israelischen Regisseur eines Filmes, in welchem er mitwirkte, nicht umarmen wollte. Was von aussen aussah wie ein politisches Statement, war in Wirklichkeit seiner schlecht sitzenden Hose geschuldet, die im Blitzlichtgewitter der Kameras runtergerutscht wäre, hätte er den grossgewachsenen Israeli umarmt. Das ist zwar eine lustige Geschichte, aber Yussuf passt so gar nicht in die Reihe der anderen Figuren.

Der Abend ist ein Auf und Ab. So sehr das Stück immer wieder fesselt, so sehr zieht es sich auch in die Länge. Die reine Konzentration auf die Erzählung und wenig Aktion auf der Bühne machen das Thema noch verkopfter, als es so schon ist. Mehr szenische Konflikte, mehr Drama, beispielsweise aus der Feder der historischen Figuren, hätte dem Stück gut getan. Ist die Freiheit der Kunst gewährleistet? Ofira Henig und ihr Personal an historischen Figuren geben darauf eine eher negative Antwort.

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