Der Alltag findet am Bartresen unseres Lebens statt

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Dagmar Schönleber: Schöner leben
Wo: Im Hochhaus, Limmatplatz
Wann: 18.10.2013 bis 19.10.2013
Bereiche: Performance, Theater

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Anja Wegmann.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben vom Migros-Kulturprozent (siehe Unabhängigkeit).

Von Fabienne Schmuki, 19.10.2013

Dagmar Schönleber arbeitet in einer Punkrockkneipe, sie trinkt gern und mag es, mit dem Rad durch die Stadt zu fahren. Sie hat einen Freund, der nachts von Autos träumt. Mit ihm und seinen zwei Kindern lebt sie in Köln. In einem Jahr hat ihr Alter ihre Schuhgrösse eingeholt, und wäre ihr Kindertraum in Erfüllung gegangen, würde sie ihre Wohnung heute mit E.T. und drei Einhörnern teilen. Nein, Dagmar Schönleber ist keine enge Bekannte. Aber nach guten 90 Minuten mit ihr in einem Raum wünschte man sich ein bisschen, sie wäre es.

Das Gute im Schlechten

Wahnsinnig gut singen kann Dagmar Schönleber nicht – sie tut es trotzdem. Sie hat auch kein ausserordentliches Talent fürs Vorlesen – und tut es trotzdem. Ihr Bühnenoutfit könnte vorteilhafter sein, oder zumindest durchdachter. Aber Dagmar Schönleber lebt ihren Hang zum Depressiven, auch wenn sie uns glauben machen will: In allem ist etwas Gutes zu finden. Sogar im Amoklauf. Passend und natürlich angelehnt an ihren Nachnamen lautet der Titel ihres Programms: «Schöner leben».

Und der Abend mit Dagmar Schönleber beweist: Sie kann beobachten, reflektieren. Sie kann subtil witzig sein oder ganz banal, plump jedoch ist sie nie. Sie kann uns anprangern und gleichzeitig das Gefühl geben, wir seien etwas ganz Besonderes. Sie verabscheut den Mainstream, das Programm im Privatfernsehen und Pauschaltourismus, hat aber schon überall mal mitgemacht. Wird sie dumm angemacht, bleiben ihr die Worte im Hals stecken. Doch die Hasstiraden, die sie dann später zu Papier bringt, die haben’s in sich. Kurz: Dagmar Schönleber ist gar nicht so anders, wie viele von uns. Nur nimmt sie es mit einer kräftigen Portion Humor.

Bartenderin für einen Abend

Die Kabarettistin, Sängerin und «Slammerin» ist eine willkommene Bartenderin an diesem Abend. Sie bewirtet uns mit Wort und Witz, und dabei geht es um Beruf und Verwirklichung, um Freizeit, Erfolg, Alkohol, Sexualität und grosse Gefühle. Um das Leben halt.
Die gebürtige Ostwestfalin trägt Bluejeans, ein Shirt, eine Weste in Schwarz und rot gefärbtes Haar. Ihr Nasenring funkelt mit ihrem bösen Witz um die Wette, und selbst das zu einem grossen Teil grauhaarige Publikum im Saal im Migros Hochhaus am Limmatplatz wickelt sie schnell um den Finger. Insbesondere die erste Reihe und Sabine, ihr «Lucky Girl des Abends».

Trinkfeste Lösungen für Alltagssatiren

«Schöner leben» ist auch deshalb kurzweilig, weil die Protagonistin zwischen Gesang, Kabarett und Lesung changiert. Die Melodien Schönlebers Lieder sind simpel oder geklaut – sie nennt das «Melodysharing» –, die Texte aber klug und witzig. So singt sie über Horst und Connie, zwei Einzelgänger aus Köln-Bickendorf, wo Schönleber selber wohnt. Und über Castingshows und damit verbundene Peinlichkeiten. Sie präsentiert ihren ganzjährigen Sommerhit. Sie erzählt vom All Inclusive-Urlaub mit einer Freundin auf Rhodos, wo sie sich dermassen betrinkt, bis sie die Polonaise anführt – und das, obwohl sie diesen Tourismus am Anfang noch verabscheute, genauso wie die Touristin, deren Körperumfang «auf lebenslanges All Inclusive schliessen liess».

Dagmar Schönleber macht keinen Hehl daraus, dass sie gerne eins über den Durst trinkt. Und als sie von einem besoffenen Kneipengast darauf aufmerksam gemacht wird, dass ihr «Bindegewebe am Arm nicht sehr fest ist», gibt sie sich gleich selber die Kante. Immer wieder lässt sie die schwarze Seite ihrer Seele etwas durchblicken, etwa, wenn «das einzige Licht am Ende des Tunnels der ICE» sei oder wenn sie die Leute, die ihr auf den Wecker gehen, mit einer Uzi niederstreckt. Aber im selben Atemzug gelingt es ihr, selbst in solchen Situationen eine Lösung aus dem Ärmel zaubern. Ja, mit Dagmar Schönleber würde man gerne ein Bier trinken. Oder auch zwei. Denn an Alltagssatiren finden sich am Bartresen unseres Lebens immer noch die besten.

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