Das Geheimnis des rumänischen Films liegt in der chinesischen Küche

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Corneliu Porumboiu: Când se lasă seara peste Bucureşti sau metabolism
Wo: Filmfestival Locarno, Concorso Internazionale
Wann: 09.08.2013
Bereiche: Film+Fotografie, Locarno Film Festival 2013

Filmfestival Locarno

Kulturkritik ist am 66. Filmfestival Locarno. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Sarah Bleuler: Wird ergänzt.

Die Kritik

Lektorat: Olivier Christe.

Von Sarah Bleuler, 14.8.2013

Das Kino spielt gerne mit sich selbst, und mancher Kenner hat schon behauptet, dass jeder Filmemacher sich einmal in seiner Karriere filmisch mit dem eigenen Metier auseinandersetzt. So nun auch der rumänische Regisseur Corneliu Porumboiu in seinem dritten Langspielfilm Când se lasă seara peste Bucureşti sau metabolism (engl. When Evening Falls on Bucharest or Metabolism), mit dem er im Concorso internazionale des Filmfestivals Locarno nominiert ist. Der Film spart nicht mit Selbstreferenzialität, und das Rezept, wie er zu verstehen ist, finden wir im Film gleich selbst – und vielleicht in einem chinesischen Kochbuch.

Der Plot ist schnell erzählt: Paul (Bogdan Dumitrache), Drehbuchautor und Regisseur in Bukarest, steckt mitten in der Realisierungsphase seines neusten Filmprojekts. Und in einer Affäre mit Alina (Diana Avramut), einer Nebendarstellerin. Die Dreharbeiten mit Alina stehen kurz vor Abschluss, da ändert Paul das Script und eröffnet ihr, dass er an ihrem letzten Tag eine Nacktszene drehen will. Doch am besagten Morgen kommen ihm Zweifel, und statt zu drehen erzählt er seiner Produzentin von einem Magengeschwür. Die Dinge nehmen ihren Lauf, und immer stärker verstrickt sich sein Leben mit dem Script des Films.

Fluch und Segen des Autorenfilms

Ob Paul Porumboius Alter Ego darstellt? Vielleicht. Ein Indiz dafür: Porumboius bisherige Filme A fost sau n-a fost? (engl. 12:08 East of Bucharest), mit dem er 2006 in Cannes die Camera d’Or gewann, und Polițist, adjectiv (engl. Police, Adjective) waren beide politische Filme, und auch Hauptdarsteller Paul dreht im Film einen politischen Film. „It’s a political movie“, sagt Paul zu Alina, als er ihr eröffnet, dass er die Nacktszene wieder aus dem Drehbuch gekippt hat. Ansonsten erfährt man in den 89 Minuten nicht viel über den Inhalt des Films im Film. Porumboiu spricht mit Când se lasă seara peste Bucureşti sau metabolism über Fluch und Segen des Autorenfilms: Der romantischen Vorstellung der eigenen Drehbuchrealisation steht die Realität des Filmemachens gegenüber. Eine Realität, die zwar tatsächlich Freiheit und Selbstverwirklichung bedeutet, aber auch Opfer fordert. Eine strikte Trennung von Leben und Set wird zur Utopie, das Leben des Autors verflechtet sich unvermeidlich mit dem Film. „I am the film“, erklärt Paul.

Ob Alter Ego oder nicht, der rumänische Regisseur setzt sich auf verschiedenen Ebenen mit dem eigenen Metier auseinander und liefert mit seiner filmtechnisch reduktionistischen Art gleich die Anleitung mit, wie der Film zu verstehen ist. In der Anfangsszene erklärt Paul Alina, dass er sich dafür entschieden hat, analog zu filmen. Dadurch könne aufgrund der technischen Möglichkeiten keine Szene länger als elf Minuten dauern. Der Film limitiere sich so selbst und bewirke beim Betrachter eine Sinneserweiterung. (Nach der Anfangszene schaut der Zuschauer im Kino verstohlen auf die Uhr: Ja, auch Când se lasă seara peste Bucureşti sau metabolism lebt von langen, dialogreichen Szenen, aber natürlich dauert keine länger als elf Minuten.)

Eine politische Botschaft aus der Küche

Porumboiu benötigt ein Minimum an Schnitten um die Geschichte zu entwickeln. Er fordert vom Zuschauer Konzentration auf die Dialoge, damit dieser seinen Film versteht. Da ist zum Beispiel die Diskussion ums Essen mit Stäbchen zwischen Alina und Paul: Paul erklärt, ein T-Bone-Steak mit Stäbchen zu essen sei schlicht unmöglich, das Kochen von chinesischen Gerichten sei also anspruchsvoller als das Zubereiten anderer Mahlzeiten, da man aufgrund des Werkzeugs „more sophisticated“ kochen müsse. Je reduzierter also das Werkzeug, desto anspruchsvoller die Zubereitung. Das gilt fürs Essen, das gilt aber auch fürs Filmemachen.

Pauls Reflektion übers Essen und seine Probleme mit dem Magen sind Porumboius politische Botschaft: Der Stoffwechsel (Metabolismus) ist ein komplexes Zusammenspiel biochemischer Prozesse. Funktioniert ein Vorgang nicht richtig, verhindert dies die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen. Vielleicht beschreibt Porumboiu so das politische System in Rumänien: ein System, in dem das Zusammenspiel der unterschiedlichen Funktionen eines Staates noch immer nicht richtig funktioniert, obwohl den Bürgern Instrumente zur Verfügung stehen. Die Brocken, die das politische System den Bürgern vorwirft, sind schwer verdaulich, die Realität kann nur in kleinen Dosen zu sich genommen werden.

Kleines Budget, grosse Botschaft

Das rumänische Autorenkino konnte in den letzten zehn Jahren, nach einer langen Krise seiner Filmindustrie seit 1989, etliche Erfolge an in- und ausländischen Filmfestivals verbuchen. Porumboiu beweist, dass der rumänische Autorenfilm eine herausragende Rolle im zeitgenössischen europäischen Kino einnimmt. Kleine Film-Budgets sind kein Hindernis sondern ein Ansporn, immer neue, alternative Wege zu gehen: wenige Schnitte, Verzicht auf Effekte und Studiodreh mit minimalistischer Ausstattung. Und statt damit zu kämpfen, benutzt Porumboiu genau diese Einschränkungen um seine Botschaft zu unterstreichen.

Film is way of seeking the world“, erklärt Paul in der Eröffnungsszene. So auch Porumboiu. Er durchforscht die Welt und hält ihr gleichzeitig den Spiegel hin. Und das soll er ruhig weiterhin tun. Denn wem es gelingt, uns neben einer politischen Botschaft auch noch das Handwerk des Filmemachens näherzubringen, indem er seinen Hauptdarsteller übers Stäbchenessen sinnieren lässt, der darf liebend gerne noch einen Film mit Film im Film drehen. Die Regiedozenten an den Filmschulen werden es ihm danken.

 

 

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