Nachlese zur Berliner Bestenschau

Die Veranstaltung
Was: Berliner Theatertreffen
Wo: Berlin
Wann: 03.05.2013 bis 20.05.2013
Bereich: Theater
Der Autor
Robert Salzer: Jahrgang 1983. Seit 2007 Theater- und Filmkritiken für «students.ch». 2009-2011 Ressortleiter Kultur. Weitere Artikel publizierte er bei «nachtkritik.de», «ensuite», «Akademikerzeitung» und «Stattluft».
Die Kritik
Lektorat: Stefan Schöbi.
Dieser Beitrag wurde durch eine Patenschaft ermöglicht. Herzlichen Dank (siehe Unabhängigkeit).
Von Robert Salzer, 26.5.2013
Bis 2001 wurden ans berühmte Berliner Theatertreffen offiziell noch zehn «bemerkenswerte» Inszenierungen eingeladen. Danach änderte man den Wortlaut zum Superlativ «die zehn bemerkenswertesten». Ob die Auswahl dieses Prädikat verdient, darüber wird in Berlin jeweils heftig gestritten, obwohl diese Frage letztlich gar nicht besonders interessant ist. Fest steht aber: das Berliner Theatertreffen hat Bemerkenswertes zu zeigen. Kulturkritik hat sich nach Berlin begeben und fünf Stücke genauer angesehen.
Das Berliner Theatertreffen feiert dieses Jahr sein fünfzigstes Jubiläum. Ins Leben gerufen wurde es ursprünglich, um dem abgeschnittenen Westberlin den kulturellen Anschluss an die Bundesrepublik zu ermöglichen. Eine Jury wählte die zehn Saisonhöhepunkte aus, welche dann nach Berlin eingeladen wurden. An diesem Prinzip hat sich in den fünfzig Jahren eigentlich nichts geändert. Auch dieses Jahr reiste die siebenköpfige Kritikerjury im deutschsprachigen Raum herum, um aussergewöhnliches Theater zu entdecken. Nach dem Besuch von rund 420 Vorstellungen haben die Juroren die zehn «bemerkenswertesten Inszenierungen» gekürt und nach Berlin geladen. Hier waren sie nun alle geballt in zwei Wochen zu sehen.
Damit ist auch gleich der Reiz des Besuches dieses Festivals erklärt: Es ist eine Bestenschau. Und da die Geschmäcker bekanntlich unterschiedlich sind, können die Zuschauer sich vorzüglich darüber streiten, warum gerade dieses Stück nicht hätte eingeladen werden sollen und dafür einige andere schmerzlich vermisst werden. Auch ich reise mit dem Vorsatz an, zu ergründen, ob die Jury gute Arbeit geleistet hat. Ich habe mir ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt und will mir in sechs Tagen fünf Produktionen anschauen. Das sind immerhin fünfzig Prozent des bemerkenswertesten deutschsprachigen Theaters des Jahres. Auf nach Berlin!
Antike und Dada
Den Start macht Medea in der Regie von Michael Thalheimer. Zu sehen ist ein schnörkelloser Abend, der hochkonzentriert das Drama von Euripides erzählt. Als einzige Figur spricht Medea erhöht auf einem Sims zu den anderen. Obwohl sie am Ende der Bühne steht sind ihre Worte und Gedankengänge klar zu hören, lauscht der Zuschauer jedem ihrer Worte mit der vollen Aufmerksamkeit. Musik gibt es nur einmal kurz und intensiv während der Kindstötung, ansonsten sind nur Stimmen und Schritte zu hören. Jede neue Szene erhält eine neue Lichtstimmung, die mit einigen konzentrierten Spots neue Schatten in das karge Bühnenbild wirft. Das bemerkenswerte an dieser Inszenierung ist die Konzentration, mit welcher dieser uralte Stoff vorgetragen wird, frei von jeglichem Theaterfirlefanz.
Ganz anders Murmel Murmel. Das Stück aus der Feder von Dadaist Dieter Roth kommt einzig mit dem Wort Murmel aus. In Herbert Fritschs Inszenierung spielen elf Schauspieler in einem wunderbar bunten Bühnenbild, sprechen das Wort mal einzeln, mal im Chor, mal rhythmisch, mal durcheinander und da das Wort alleine nicht so viel hergibt, wird mit viel Slapstick für Stimmung gesorgt. Ein Musiker begleitet die Schauspieler mit seinem Xylophon und dirigiert sie durch manche schwierige Murmelpassage. Das ist alles sehr unterhaltsam und man murmelt auch zwei Stunden nach Vorstellungsende selbst noch vor sich hin, doch irgendwie auch wahnsinnig nichtssagend – und genau deshalb wieder bemerkenswert.
Romane in Überlänge
Romanadaptionen sieht man schon lange auf den deutschsprachigen Bühnen. Die Frage ist hier immer, ob der Transport vom Buch zum Theaterstück gelingt. In Jeder stirbt für sich allein wird der Ansatz gewählt, beschreibende Passagen von den Romanfiguren selbst lesen zu lassen. Während eines Dialoges hört man eine Figur also auf einmal zu sich selbst sagen: «Es wurde ihr plötzlich schlecht». Der Roman von Hans Fallada erzählt die Geschichte eines deutschen Ehepaares, das aufgrund des Kriegstodes ihres Sohnes beginnt, Flugblätter gegen das Naziregime in Umlauf zu bringen. Wir begleiten das Paar bis zu deren Verurteilung. Regisseur Luk Perceval lässt sein Ensemble praktisch ohne Bühnenbild und Requisiten spielen und vertraut dem Vorstellungsvermögen des Zuschauers. Das Stück dauert über vier Stunden und schafft es trotzdem, dass man bis zuletzt gebannt der Geschichte folgt. Das ist schon eine Leistung. Die Art und Weise aber, wie der Roman für die Bühne umgeschrieben wurde, hat man so schon mehrfach gesehen.
Am meisten Mühe habe ich mit Krieg und Frieden. Es handelt sich erneut um eine Romanadaption und die dauert diesmal sogar über fünf Stunden. Der Wälzer von Tolstoi wird vom Leipziger Ensemble thematisch abgehandelt (Ich, Liebe, Sehnsucht, Glaube etc.) und man spürt als Zuschauer, dass viel Denkleistung in die Inszenierung geflossen ist und sich die Regie wie auch die Schauspieler intensiv mit dem Roman auseinandergesetzt haben. Damit hat es sich aber auch. Als Zuschauer sieht man nur das Ergebnis des Prozesses, die Überlegungen dahinter erschliessen sich hingegen in vielen Fällen nicht. Oft wirkt die Inszenierung verkopft und der Funke springt nicht wirklich rüber. Da hilft auch die wunderbare Live-Musik und das tolle, aus einer schwenkbaren riesigen Plattform bestehende Bühnenbild nicht. Der Abend rauscht an mir vorbei, vielleicht auch weil ich noch die vier Stunden des Vorabends in den Knochen habe.
«In der Kleidung stecken Menschen. Das ist der Nachteil.»
Die letzte Inszenierung auf meinem kurzen Berlintrip ist Die Strasse. Die Stadt. Der Überfall. von Elfriede Jelinek. Die Literaturnobelpreisträgerin hat den Münchner Kammerspielen ein Stück geschrieben, das die Maximilianstrasse im Fokus hat, Münchens Modemeile. Wie man es von Jelinek gewohnt ist, wird das Thema Mode sprachlich von allen Seiten durchleuchtet. Auch das Bühnenbild kommt passend daher: Zu Beginn der Inszenierung wird Eis auf der Bühne verteilt, durch welches die Schauspieler in ihren hochhackigen Schuhen wunderbar trampeln können. Im Scheinwerferlicht sehen die Eisstücke wie Diamanten aus und verflüssigen sich (wie das Geld an der Maximilianstrasse) im Laufe des Abends selber. Sechs Schauspieler und eine Schauspielerin arbeiten sich wunderbar kurzweilig am Jelinek-Text ab, wobei die Herren in Sachen Mode der Dame in nichts nachstehen, auch nicht im Jammern über körperliche Unzulänglichkeiten. Toll, wie es der Münchner Inszenierung gelingt, diesen sprachlich doch sehr sperrigen Jelinke-Text auf die Bühne zu bringen.