«Fred und Franz»

Die Veranstaltung
Was: Arno Camenisch liest aus «Fred und Franz»
Wo: Stadtbibliothek am Kirchplatz
Wann: 24.10.2013
Bereich: Zürich liest 2013
Zürich liest
Kulturkritik ist am Buchfestival Zürich liest. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Patricia Schmidt: Jahrgang 1985, studierte Publizistik, Politik und Literaturwissenschaft in Zürich, arbeitet im Consulting.
Die Kritik
Lektorat: Nadine Burri.
Von Patricia Schmidt, 28.10.2013
«Das glaubt mir ja eh keiner.» Schmunzeln, diese Situation genau kennen, irgendwie aber doch zweifeln. «Und weil mir das keiner glaubt, erzähl’ ich es einfach, wie es war.» Tatsächlich fällt es einem schwer zu glauben. Der Mensch übertreibt nun mal gerne. In der Erinnerung war ja schon immer alles grösser, aufregender, besser. Und dann war schlussendlich alles doch nur halb so wild. «Es ist wirklich war. Aber ich lese besser wieder etwas.» Ruhe.
Fred und Franz, zwei Bündner Urgesteine, sitzen im Sessellift fest. Unter ihnen nur der Nebel. Oder sie sitzen an der Bar. Hacken Holz hinter dem Haus, sind auf der Jagd oder auf der Baustelle. Dazu trinken sie ständig Bier oder Schnaps und rauchen. Hemdsärmlig, bodenständig und etwas karikiert. Natürlich drehen sich die Gespräche um Frauen. Fred und Maria, seine gescheiterte grosse Liebe, Franz und Ana oder Magdalena. Liebe oder Sex. «Wie die Leere aushalten, das ist die Kardinalfrage» sagt Fred auf dem Sessellift zu Franz und meint wohl kaum den Nebel.
«Genau dieselbe Geschichte ist auch mal einem bei mir im Dorf passiert» unterbricht sich Arno Camenisch selbst beim Vorlesen. Oft ist nicht klar, ob er von Fred, Franz, sich selbst oder einem Freund erzählt. Oder ob er sich gegenüber dem Publikum in der Winterthurer Stadtbibliothek einen Spass erlaubt. Kaum etwas erfährt man über Umstände, Aussehen oder darüber, wie es mit ihnen weitergeht – Fred, Franz, Arno oder dem Jungen aus seinem Dorf. In Camenischs Stimme schwingt stets eine Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit mit, die der Absurdität seiner Geschichte trotzt. Dabei sind die Sprachbilder der Alltagsszenen, die Arno Camenisch malt, höchst präzise. Die Mikroebene bleibt im Text verborgen und hallt mit unglaublicher Intensität in den Köpfen der Zuhörer nach.
Zürich liest
In Ecken kleiner Buchläden, in schummrigen Kneipen, zwischen verstaubten Bücherregalen alter Bibliotheken und in alten Bahnhofshallen wird es an vier Tagen im Oktober ganz still. Keine Inszenierung, kein Theater, keine Musik und kein Film – nur leise Stimmen und Geschichten. Seit drei Jahren findet an vier Tagen im Herbst das Bücher- und Lesefestival «Zürich liest» statt. Mit 140 Lesungen und literarischen Veranstaltungen und mit über 200 Autorinnen und Autoren gehört «Zürich liest» zu den grössten Literaturfestivals im deutschsprachigen Raum.
Arno Camenisch liest zum zweiten Mal am Zürcher Literaturfestival. Nach Sez Ner, Hinter dem Bahnhof, aus welchen er bereits 2011 im Rahmen von «Zürich liest» las, folgten Ustrinkata und nun Fred und Franz. Seine Bücher werden in 22 Sprachen übersetzt – erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Camenisch nebst Deutsch auch auf Rätoromanisch schreibt, einer Sprache, der selbst in der Schweiz nur 0,5 Prozent der Bevölkerung mächtig sind. «Und wie ist das möglich, eine Geschichte, die sich in den Bündner Bergen auf Rätoromanisch abspielt, zu übersetzen?» Es geht um Menschen, um innere Haltungen, um Schicksale und Empfindungen– nicht um die Sprache, beantwortet Camenisch die Frage einer Leserin. «Deshalb ist es auch egal, wenn die Leute denken, wir würden da oben in den Bergen römisch sprechen – die Geschichten der Römer versteht man ja heute auch noch. »
Schaffhausen fern
«Als ich kürzlich Geburtstag feierte, wollte ich in eine Stadt fahren. Es sollte aber nicht irgendeine Stadt sein.» Das passt insofern, als dass Camenisch’s Texte immer wieder von Prag, Barcelona, Madrid, Leipzig und Vilnius erzählen. Von einer Nähe und Ferne. Und von einer Sehnsucht. «Ich fuhr nach Schaffhausen.» In anderen Anekdoten sitzt Camenisch im Zug, der sich verfährt. Bleibt mit dem Fuss in Bern in der Tramschiene stecken oder muss zu Fuss nach Bremgarten. Immer geht es aber um Liebe, das Finden, Verlieren, Festhalten und Loslassen. Das Schöne und der Tod. Fred und Franz sitzen zum Schluss der Lesung immer noch auf dem Sessellift. Vor ihnen das Unbestimmte. Fred, Franz, Camenisch und die Leser wissen eine Geschichte muss nicht immer weitergesponnen werden. Manchmal harrt das Leben aus. Und ist in dem Ausharren ungemein spannend.