Geglückte Wiederbelebung

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: The F-Word
Wo: Shedhalle
Wann: 12.05.2012 bis 22.07.2012
Bereich: Bildende Kunst

Die Autorin

Isabel Münster: Jahrgang 1977, studierte Erziehungswissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie, besuchte den Nachdiplomkurs Curating an der ZhdK und ist als freie Kuratorin tätig. Seit 2010 macht sie den Master Art Education in der Vertiefung „publizieren & vermitteln“ an der ZHdK.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Mentorats zur spezialisierten Publikationspraxis im Master-Studiengang publizieren & vermitteln entstanden.

Von Isabel Münster, 23.5.2012

Sind wir wirklich so emanzipiert wie wir immer meinen? Auf dem ersten Blick scheint die Benachteiligung der Frau, zumindest in der westlichen Welt, überwunden. Der bissige Feminismus der siebziger Jahre ist verstaubte Geschichte und hat nicht nur ausgedient, sondern ist gar zum Schimpfwort mutiert; mit dem Resultat, nur noch auf seinen Anfangsbuchstaben reduziert zu werden. So versteckt sich hinter dem F-Word eine aufklärerische Frauenbewegung, mit der sich niemand mehr identifizieren kann, und deren wesentliche Inhalte ignoriert werden.

Gegen diese Negation versucht Anke Hoffmann – eine der zwei Kuratorinnen der Shedhalle – ein Zeichen zu setzen. In engem Austausch erarbeitete sie mit den Künstlerinnen Nevin Aladağ, Ariane Andereggen, Alexandra Bachzetsis und Michaela Melián das vielgestaltige Projekt «The F-Word». Gemeinsam wollen sie das besagte Unwort neu verhandeln, indem sie jegliche Grenzen zwischen darstellender und bildender Kunst ausreizen: Schauspielerei, Tanz und Sprechgesang in Form von Performances verschmelzen mit Video- und Audio-Installationen, Zeichnungen und Skulptur.

Entlarvende Tanzeinlagen

Am Abend der Vernissage (11. Mai 2012) verwandeln zwei Performances die Ausstellungsfläche der Shedhalle zu einer Art Bühne. Jeglichem Small-Talk und kulinarischer Verköstigung wird Einhalt geboten und die Besucher sind aufgefordert, sich zunächst mit der 45-minütigen Performance «A Piece Danced Alone» von Alexandra Bachzetsis auseinander zu setzen. Auf einer grossen quadratisch-schwarzen Fläche präsentiert sich ihr fiktives Künstlerinnen-Ego abwechselnd mit ihrer Doppelgängerin Anne Pajunen.

Anstatt sofort mit der Tanzeinlage anzufangen, setzt sich Bachzetsis an einen Tisch und spricht mit ausdruckslosem Blick unverwandt in eine Kamera, deren Aufnahme live auf einen Bildschirm übertragen wird. In englischer Sprache überhäuft sie den Zuhörer mit biografischen Stationen ihrer Tänzerinnenkarriere und dieser fragt sich argwöhnisch, ob das alles so stimmen kann. Dann setzt die Musik ein und die Künstlerin beginnt, Bewegungen des Modernen Tanzes mit geläufigen Discotanzschritten zu verquicken.

Rund zehn Minuten später tritt Pajunen auf. Sie trägt die gleiche graue Jeanskombination mit hohen weissen Turnschuhen wie Bachzetsis und scheint ihr alles gleich zu tun: die Ansprache in die Kamera, die Tanzeinlage. Doch bei genauer Betrachtung gibt es Abweichungen, nicht alles wiederholt sich eins zu eins. Es wirkt über weite Strecken eher wie ein Konkurrenzkampf unter Geschlechtsgenossinnen, die sich zwischendurch mal annähern, um sich dann wieder völlig abzugrenzen. Die einzelnen Solo-Auftritte zeichnen sich durch viel Dynamik und Direktheit aus. Beide Tänzerinnen nehmen unentwegt festgefahrene, geschlechtsspezifische Posen ein und greifen Bewegungsmuster auf, die sie gelungen auf die Spitze treiben.

Eine «Mischung aus John Wayne und Grace Jones»

Mit einiger Verspätung beginnt die Künstlerin Ariane Andereggen ihre Performance «Woman is an Art Show Part 1». Völlig schwarz gekleidet, mit wilder Mähne, greller Schminke und High-Heel-Stiefeletten betritt sie die Bühne und zeigt dem Publikum, wie sie mehrere Stunden «möglichst cool» in der Hocke hin und her laufen wird, wie eine «Mischung aus John Wayne und Grace Jones». Sie zelebriert den Konjunktiv und malt dem Publikum genüsslich aus, was es mit ihr alles erleben würde.

Im sonoren Sprechgesang untermalt von elektronischem Sound präsentiert Andereggen sich als Nudeln kochende Sängerin, die auf Englisch über sich als «moderne Frau» und «Arbeitsbiene» singen wird. Ihre drei weiblichen Leibwächter sind Ausserirdische in Superwoman-Kostümen und landen leise in einer elektrisch betriebenen Rakete. Die Darbietung ist gespickt mit grossen und bedrängenden Versprechungen an das Publikum. Sie will es mit einem «professionellen Gefühl» durchdringen, es zum Kochen bringen, es sexuell erregen und beim Stagediving eins werden mit ihm.

Mit viel Wortwitz und Selbstironie performt die Künstlerin eine zwanzig minütige Live-Show, in der sie jegliches «pop-feministische Halbwissen» zum Besten gibt. Andereggen bringt uns zum Lachen, ein Lachen, das aber auch schnell mal im Hals stecken bleiben kann, wenn sie beispielsweise von einem zwangsverheirateten und zwangsbeschnittenen Mädchen spricht, dem man doch wohl nicht Stagediving erklären könne. Gerade diese provokanten Redewendungen, die sie so nonchalant in den Textfluss einbaut, verleihen dieser Performance die nötigen Ecken und Kanten, an denen sich die Zuschauer reiben müssen.

Ein Potpourri vielgestaltiger Sinnlichkeit

Unmittelbar nach dem Betreten der Shedhalle fällt die Installation «Leaning Wall» der Künstlerin Nevin Aladağ auf, die einen bildhauerischen Hintergrund mitbringt. Siebzig farbige Keramikobjekte sind einer Kletterwand gleich arrangiert. Doch die vermeintlichen Haltegriffe entpuppen sich als zu glatt und fragil, als dass ein Hinaufsteigen möglich wäre. Die Arbeit «Leaning Wall» setzt sich aus zwei flexiblen Wänden zusammen, auf der sich unspezifisch weibliche oder männliche Extremitäten in Form von Negativabdrücken zu einer homogenen Komposition vermischen.

Im hintersten Teil der Ausstellung befindet sich die Installation «Sarah Schuhmann und Silvia Bovenschen» von der Künstlerin Michaela Melián. In der 3-Kanal-Video-Installation lässt sie die im Titel benannten Aktivistinnen der deutschen Frauenbewegung der 1960er und 70er Jahre zu Wort kommen. Beide Frauen sind lebensgross auf die Wand projiziert, wo sie sich schweigend in ihrer Berliner Altbauwohnung gegenüber sitzen. Ihre erzählenden Stimmen ertönen aus dem Hintergrund und scheinen losgelöst von ihren Körpern. Melián inszeniert die Erinnerungen der beiden Frauen raumübergreifend in Worte und bewegten Bildern.

In dem sehr sinnlich ansprechenden Ausstellungsprojekt «The F-Word» spiegelt sich das hochemotionale, komplexe Thema «Feminismus» sehr vielschichtig wider. Es kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher, sondern präsentiert sehr selbstreflexive und -kritische Kunst-Statements mit einem höchst ironischen Unterton. Sowohl die historische Ebene als auch zeitgemässe Positionen werden in dieser Ausstellung gekonnt integriert. Anke Hoffmann und den vier Künstlerinnen gelingt es, in übersteigerter Form Klischees, Vorurteile und Halbwissen zum Feminismus und der geschlechtlichen Gleichstellung zu entlarven, so dass der Betrachter die Notwendigkeit erkennt, sich auch heute mit feministischen Inhalten auseinanderzusetzen.

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