Ein Klavier ist ein Klavier ist ein Klavier ist ein Klavier

Die Veranstaltung
Was: Spektrum plus: ... Tasten?!
Wo: Grosser Saal, Florhofgasse 6, Zürich
Wann: 19.03.2012
Bereich: Musik
Der Autor
Moritz Weber: Jahrgang 1976, studierte Klavier an den Musikhochschulen in Zürich und München sowie Kulturpublizistik an der ZHdK. Er lebt als freischaffender Konzertpianist, Kulturjournalist und Klavierpädagoge in Zürich.
Die Kritik
Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Moritz Weber, 20.3.2012
«Eben nicht!» erörterte der Organist und Musikwissenschaftler Dominik Sackmann schon in seinen einleitenden Worten. Mit seiner pointierten Sprache klärte er gleich zu Beginn des Konzerts «… Tasten?!», dass das heute gebräuchliche Wort Klavier ursprünglich mit C geschrieben wurde und die Klaviatur sämtlicher Tasteninstrumente bezeichnete. Dadurch war die erste Frage des Abends nach dem richtigen Instrument für Bach schon zu einem grossen Teil beantwortet.
Gemeinsam mit dem Spezialisten für historische Tasteninstrumente, Michael Biehl, tastete Sackmann auf der Suche nach Antworten weitere Themenbereiche wie Tempo, Klangcharakter und Notation ab. Am Beispiel des h-moll Präludiums und der dazugehörigen Fuge (WTK I) von Bach – abwechselnd und vergleichend auf der Orgel und dem Cembalo gespielt – wurde klar, dass es für diese Musik keine abschliessende und einzig gültige Entscheidung in dieser Frage braucht. Gerade Bach lässt durch seinen Notentext einen grossen Handlungsspielraum, sowohl hinsichtlich der musikalischen Gestaltung als auch in der Wahl des Instruments.
Weltraumklänge
Das Instrument gänzlich zu überwinden versuchte der Jazz-Pianist und Spezialist für Improvisation Chris Wiesendanger. Und es gelang ihm auch! Durch das ausschliessliche Spiel im Innern des Flügels erzeugte er eine erstaunlich breite Klangpalette: Von Klopfgeräuschen über mysteriöse Flageolette bis hin zu Atmungsimitationen und täuschend echt klingenden Space-Sounds entlockte er dem modernen Klavier mit blossen Händen unzählige faszinierende Stimmungen und Farben, welche aufhorchen liessen.
Die eigene musikalische Vorstellung in Klang umzusetzen sei auch die eigentliche Kunst im herkömmlichen Klavierspiel, erklärte Wiesendanger. Das komplexe Hebelsystem der Tastenmechanik bremse den natürlichen Fluss der Musik und könne nur durch ein Weiterdenken des Interpreten transzendiert werden.
Ohr- und Fingerspiele
Transzendenz ist eines der zentralen Elemente in György Ligetis Musik, besonders in seinen Klavieretüden. Ohne auf die Realisierbarkeit Rücksicht zu nehmen, verlangt er den zwei Händen des Pianisten permanent das Äusserste ab. Trotz dieser Herausforderungen konnte der Pianist Stefan Wirth die strenge kanonische Struktur der Stücke klar und überzeugend herausmodellieren. Es war kühn, dass Wirth die kompakten Meisterwerken Ligetis danach mit seinen eigenen Kompositionen toppen wollte. Seine Klavieretüden wirkten im direkten Vergleich mit Ligeti primär auf bravourösen Effekt hin konzipiert. Sie bildeten denn auch den einzigen Beitrag des Abends, welcher sich nicht aus der klanglichen Idee, sondern aus pianistischen oder anatomischen Gegebenheiten entwickelte.
Stiefkind Musikdepartement
Das hochstehende Gesprächskonzert wirkte trotz seiner spannenden Diskussionspunkte und interessanten musikalischen Beiträge rein aufgrund der äusserlichen Aufmachung etwas plump. Die Akteure des Abends standen oft verloren zwischen den unglücklich positionierten Instrumenten herum, gaben sich die Handmikrophone weiter oder wussten nicht recht, wer wann und wie die Bühne betreten oder verlassen sollte. Obwohl die Veranstaltung inhaltlich anderen Produktionen der ZHdK – eine der grössten und fortschrittlichsten Kunsthochschulen Europas – qualitativ ebenbürtig war, wurde hier eine stiefmütterliche Behandlung des Musikdepartements spürbar: Während in den anderen Departementen derselben Hochschule beinahe keine Kosten und kein technischer Aufwand gescheut werden, um die Künste auch optisch und logistisch professionell zu vermitteln, scheint man an der Florhofgasse nach wie vor dem Irrtum zu erliegen, dass die Publikumsattraktivität alleine der Kunstform Musik und ihren Diskursen auf die Schultern geladen werden kann. Der Umzug aller Departemente ins Toni-Areal im Jahr 2013 wird in dieser Hinsicht hoffentlich Abhilfe schaffen.