Ungläubiges Lachen

Die Veranstaltung
Was: RAUM № 6: Stayers
Wo: station21, Zürich
Wann: 27.04.2012 bis 29.04.2012
Bereiche: Bildende Kunst, Performance
Der Autor
Gabriel Flückiger: Gabriel Flückiger (geb. 1988) studierte Kunstgeschichte und Ethnologie.
Die Kritik
Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: RAUM № (siehe Unabhängigkeit).
Von Gabriel Flückiger, 2.5.2012
Das Berner Kuratorenkollektiv, das hinter dem Namen RAUM No steht, eignet sich seit 2010 nomadisierend verschiedene Räume an und lanciert kurzzeitige Ausstellungen – diesmal in der Zürcher Station 21. Das aktuelle, sechste Projekt von RAUM No hat sich vorgenommen, performative Arbeiten im Spannungsfeld von Körper, Intellekt und Sozialität auszuloten. Der Bogen spannt sich dabei zwischen zwei Arbeiten auf, von denen eine im Aussenbereich, die andere im Innenraum präsentiert wird.
New York 1971, Zürich 2012
Der Geruch von Gegrilltem erfüllt das Quartier. Passanten bleiben stehen, blicken erstaunt um sich, machen Fotos. Les Lieux sind vor Ort: Thomas Schoenberger und Andreas Egli, der eine Kunsthistoriker, der andere Künstler. Ihre letzte Intervention galt «Bloch», dem Baumstamm aus dem Appenzellerland, den das Künstlerduo Com&Com nun durch die Welt reisen lassen (siehe http://www.com-com.ch/home/bloch). Als Bloch in Bern Halt machte, haben Les Lieux auf performative Weise die Aktion innerhalb verschiedenen Ritualtheorien verortet. Im Zürcher Kreis 3 dreht sich ihre aktuelle Intervention um ein Lamm, das grilliert wird.
«Unsere Aktion geht zurück auf eine Aktion von Gordon Matta-Clark 1971 in der New Yorker Lower East Side», führt Thomas Schoenberger aus. In improvisierter Manier hatte Matta-Clark damals ein Schwein in jenem gang-dominierten und kriminellen Quartier gegrillt und als Sandwiches an die Passanten verteilt. Soziales wurde dabei mit dem System der Kunst gemischt und Interaktionen ermöglicht.
Für Schoenberger und Egli ist diese historische Bezugnahme ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. «Unser Reennactment ist eine Dokumentationsart gegen die stigmatisierenden Bilder, welche von der historischen Aktion vorhanden sind», so Egli. Es geht den Künstlern einerseits um einen reflektierten Umgang mit historischem Material, andererseits aber auch um dessen Neuverortung und Aktualisierung. So wurde für die Aktion vor der Station 21 aus Rücksicht auf die jüdische Gemeinde im Quartier statt dem Schwein ein Lamm gegrillt. Grundsätzlich ist das Tier aber als Platzhalter gesehen. Viel eher sollen die entstandenen Begegnungen und Gespräche dem heutigen Status sowie den Möglichkeiten von Aktionskunst auf den Grund gehen.
Peitschen – der Innenraum
Im Innern der Station 21 werden Videos von Julius von Bismarck gezeigt. Der in Berlin wohnende Künstler hat sich eine Anekdote über den Pharao Xerxes I. angenommen, in welcher der Herrscher nach einem missglückten Brückenbau über die Dardanellen die Meeresenge mit 300 Peitschenhieben bestrafen liess.
In seiner Arbeit «Punishment» macht dies von Bismarck ebenso: die Jesus-Statue in Rio de Janeiro, die Alpen und das Meer bekommen 300 Schläge ab. Die Aktionen entfalten aufgrund ihrer irrwitzigen Absurdität eine starke Dringlichkeit. Von Bismarcks körperliche Exerzitien können sowohl hinsichtlich eines religiösen Spannungsfeldes als auch als Metapher für den unerschöpflichen Kampf des Menschen gegen die Kräfte der Natur gelesen werden.
Was bleibt
Den Innen- und Aussenraum des sechsten Projekts von Raum No verbindet das Ritual als eine gedankliche Brücke. Dennoch bleiben die Werke in der Gegenüberstellung isoliert: zu verschieden sind die Ebenen, auf denen das Ritual je stattfindet. So kommt es, dass die beiden Werke in ihrer jeweiligen thematischen Unabhängigkeit eher wetteifernd aneinandergeraten, als dass sie sich verbinden würden.
Dennoch bleibt von Raum No. 6 einiges: ein satter Magen, das gute Gefühl sozialer Sensibilisierung und – vielleicht das Nachhaltigste von allem – ein ungläubiges Lachen.