«Nonsense» – die Zuschauerkritik

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Nonsense
Wo: Museum Strauhof
Wann: 21.03.2012 bis 03.06.2012
Bereiche: Literatur, Die Zuschauerkritik, Keine

Die Zuschauerkritik

Die Zuschauerkritik – unter diesem Titel probiert Kulturkritik ein neues Kritik-Format aus. Wir freuen uns auf jede Rückmeldung per E-Mail.

Die Autorin

Dania Sulzer: In Winti geboren, dort ausgegoren. Kulturinteressiert und sprachversiert. Die Uni liess ich hinter mir, die ZHdK ist nun mein Revier. Schreiben und gelesen werden, dafür würd ich - nein nicht gerade - sterben. Freude machen Stift und Blatt, ich bin ein kleiner Nimmersatt.

Die Kritik

Zu dieser Veranstaltung wurde eine weitere Kritik verfasst.
Lektorat: Stefan Schöbi.
Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Mentorats zur spezialisierten Publikationspraxis im Master-Studiengang publizieren & vermitteln entstanden.

Von Dania Sulzer, 4.6.2012

Im dritten Raum der Ausstellung

E: (kommt eben aus dem «Didaktik»-Raum die kleine Treppe hoch und blickt um sich) Kommst du, L? Aber pass auf, es ist dunkel hier drin und vorher hab ich mich an einer dieser schwarze Säulen gestossen. Genau, Edward Lear war das, der das Book of Nonsense geschrieben hat, schau hier die Limericks daraus, siehst du, er hat die Fünfzeiler mit feinskizzierten Bildern illustriert.
L: (geht durch den kleinen Raum, nimmt ein dünnes, gebundenes Buch von einem Hocker und setzt sich auf denselben, davor an der Wand frei erfundene Pflanzen). Wieso eigentlich Nonsense? Fantasievoll ja, aber unsinnig würd ich dem nicht sagen, und dieses Kinderbuch aus dem 19. Jahrhundert würd’ ich meinem Kind sofort kaufen.
E: Aber schau doch mal diese Kombinationen von Tieren und Pflanzen an. Bissige Hundsnessel, eine Pflanze vollbehängt mit Hundegebissen. Wenn das mal kein Unsinn ist. So etwas Wissenschaftliches und Akribisches wie Ordnungssysteme von Pflanzen oder Tiere durch verquere Kombinationen in einen anderen Sinn zu überführen, ist ja nicht nur für Kinder witzig. Ich krieg mein Lächeln ja schon fast nicht mehr von den Lippen.
L: (hört nicht mehr richtig zu, trägt bereits Kopfhörer über den Ohren «The Jumblies» von 1970 läuft) Witzig? Dann hör dir mal an, was hier auf Englisch eingesprochen wurde. Du könntest die Geschichte auch auf Deutsch hören, aber wie dieser Graham Valentine die Geschichten von Lear in breitesten Schottisch mit verstellter Stimme interpretiert, ist köstlich!
E: (Setzt sich ebenfalls Kopfhörer auf und lacht) Ich muss schon sagen, in dieser Ausstellung nicht zumindest zu schmunzeln, ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Kinderbücher hin oder her.
L: (Schaut E verschwörerisch an und grinst): Wobei, was ist hier schon unmöglich?

Im vierten Raum der Ausstellung

M: (betritt einen Raum, der mit Spiegeln ausgekleidet ist, der Boden gleicht einem Schachbrett) Ui, komm mal hier rein. Hier sieht’s aus wie bei Alice im Wunderland. Hast du gewusst, dass die Abenteuer in Lewis Carrolls Buch «Alice hinter den Spiegeln» den Regeln einer Schachpartie folgen?
C: (tritt in den Raum) Wo bist du? Ich weiss gar nicht mehr wo du stehst vor lauter Spiegeln an den Wänden. Schon faszinierend wie ein Spiegel alles verdrehen und auf den Kopf stellen kann. Und trotzdem macht auch die Spiegelschrift Sinn. Einfach nicht auf die herkömmliche Art (betrachtet die Spiegelschrift an der Wand im Spiegel).
M: Fantasie hatte Lewis Carroll. Aber auch komisch, dass er der real existierenden Alice und anderen Töchtern von Bekannten so oft Geschenke gemacht hat, ihnen Bücher zeichnete und Geschichten schrieb? Ich meine man kennt ja diese Geschichten aus den Zeitungen, wo sich der Kindernarr schliesslich als Pädophiler entpuppt.
C: Ach was, so eine Liebe ist doch eher eine Flucht vor der Sexualität. Der hat sich einfach in der Welt und in den Köpfen der Kinder wohler gefühlt hat als unter Erwachsenen.
M: Also so wie bei Michael Jackson, oder? (lacht)
C: Sieh mal. Hier kann man drei Filme über Alice im Wunderland schauen. Zwei kenn ich, den Disney und den von Tim Burton. Der dritte? Kannst du das lesen, ich hab meine Brille nicht dabei.
M: Du wieder! Da steht Jan Svankmajer, 1988. Nie gehört. Wollen wir uns rasch setzten?
(Sie lassen sich auf den Hockern vor den Fernsehern nieder, setzen die Kopfhörer auf und starren gebannt auf die übereinander aufgehängten Geräte.)

Déja-vu im letzten Raum

K: (kurz vor Verlassen der Ausstellung im Strauhof, ein Zimmer im ersten Stock) Das ist jetzt das letzte Zimmer? Es sieht ja fast genau gleich aus wie das erste. Schreibpult, Schreibwerkzeug, Blume. Und ein Bild an der rechten Wand. Aber die Zeit hat sich verschoben.
F: So weit ich mich erinnere, waren es im ersten Raum Feder, Tinte und Papier, eine Rose und ein Apfel. Das sanft gezeichnete Bild eines Bauernpaars. Und hier?
K: Hier der Computer. Eine Banane, eine elegante Calla in einer Glasvase. Das Bild (blickt sich um)?
F: Von Dalí. Klar. Die Werkschau von gestern bis heute, vom Tintenfass zum Computer. Wir haben ja in diesen Räumen verschiedenste Autoren gesehen. Carroll zum Beispiel, geboren 1832, dann aber auch diese neue, absurde Art des Theaters von Kaspar Fischer, der erst 2000 gestorben ist. Die Autoren sind der Kern der Ausstellung, die Zeitachse gibt die Dramaturgie vor.
K: Stimmt, die Autoren und Künstler werden beim Gang durch die Ausstellung immer jünger. Die einen zeichnen, die anderen dichten, dieser arbeitet eher grafisch und jener hat sich vor allem im Theater ausgetobt.
F: Nonsense zeigt sich am Ende in erstaunlich vielen Facetten, oder?

In der Augustinergasse

U: Wollen wir noch einen Kaffee trinken oder go lädele, so schönes Wetter heute?
Hm? He hallo?
B: Wie? Sorry, ich bin immer noch bei diesen Metamorphosen von Kaspar Fischer. Das hab ich ja noch nie gesehen. Das einer so zeichnen kann, so fein und präzise, und dann verwandelt sich der Baum in einen Kellner und der Kellner ein Pferd, ich fand das eben echt toll.
U: Und so vielfältig. Da konnte man vertonte Gedichte hören. Und die Fernsehsendungen von Loriot, die Gedichte von Morgenstern und die Performance von Fischer, das war auch ganz gut. Gäll, man wollte gar nicht mehr raus da, man konnte ja auch überall drücken und Sachen von hinten und von vorne betrachten. Ich fühl mich grad wie ein kleines Kind, dem das Mami sagt, dass es jetzt die Spielsachen liegen lassen soll und in die Schule muss. Jetzt, hier draussen müssen wir wieder erwachsen sein.
B: War auch alles so bunt da drin. Und, weisst du, Nonsense ist zwar kindlich, aber so gar nicht kindisch. Da geht’s darum, mal wieder zurück zu denken und um die Ecken zu sehen. Kinder machen das öfter, benutzen eher ihre Fantasie, dürfen sich auch mal lächerlich machen.
U: Recht hast du! Komm lass uns da vorne eben schnell in den Steiffladen gehen. Ich möchte wieder mal mit Teddys kuscheln.

In eigener Sache: Mit der «Zuschauerkritik» probiert kulturkritik.ch ein neues Kritik-Format aus. Nicht immer ganz ernst gemeinte Dialoge statt wuchtiges Kritikergedönse, ein Dramulett anstelle eines Monologs: Die «Zuschauerkritik» lebt von der Überzeugung, dass das, was der eine oder andere so meint und was dieser und jener so denkt, vielleicht nicht ganz unbedeutend ist. Oder: Der Zuschauer ist der klügere Kritiker – korrekt?. Feedback willkommen per E-Mail.

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