Bedeutungsvoller Unsinn?

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: meaning meaning
Wo: Theater Gessnerallee
Wann: 29.11.2012 bis 30.11.2012
Bereiche: Performance, Theater

Die Autorin

Nina Pulfer: Nina Pulfer (geb. 1980) studiert im Master Islamwissenschaft und Persisch.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.

Von Nina Pulfer, 1.12.2012

Ende der 60-er Jahre hat Roland Barthes in «la mort de l’auteur» beschrieben, wie illusorisch die Annahme sei, Sinn und Aussage eines Textes würden vom Autor, der Autorin generiert. Das Illusorische in unserem Verständnis von Sprache thematisiert auch studio 5 mit «meaning meaning», einem knapp dreissigminütigen Stück, welches vergnügtes Schmunzeln und Verwirrung hervorruft. Verwirrung einerseits über die Aussagen, andererseits über das Stück an sich.

Woher kommt Sinn?

«Verwerte dich!» ist das Leitwort des Freischwimmer Theaterfestivals 2012/2013, in dessen Rahmen «meaning meaning» von Andrea Maurer und Thomas Brandstätter in Zusammenarbeit mit Nicholas Hoffman und Ewa Bankowska gezeigt wird. Das Festival bietet Nachwuchstalenten eine Plattform für ihre Projekte mit dem Auftrag, etwas Mutiges, Unkonventionelles und Provokatives zu schaffen.

Neu ist es selbstverständlich nicht, das Nachdenken über die konventionellen Bedeutungen von Dingen und die Zukunft der Sprache. Aber es ist und bleibt notwendig, gerade in einer Gesellschaft, die mit den Normen, die ihr aufgetischt werden, nicht besonders kritisch umgeht.

Zu Tisch!

Der Rahmen, in dem das Nachdenken der KünstlerInnen stattfindet, ist mutig. Ihr Stück ist für drei SchauspielerInnen und zwölf Zuschauende konzipiert. Eine aus wirtschaftlicher Sicht völlig unrentable Konstellation. Und darum erfrischend provokativ.

Auf der einen Seite eines grossen Tisches sitzen ein Affe, ein Mensch und ein Wesen mit futuristischem Hut. Auf der anderen Seite die ZuschauerInnen. Die puristische Ausstattung mit drei simplen Leuchten sowie Tisch und Hockern aus rohem Holz passen zur Idee von Sprache als Roh- und Werkstoff.

Das ungewöhnliche Trio setzt sich an den Tisch und holt einen Stapel Blätter hervor, auf denen Wörter wie: nonsense, meaning, lala oder universe stehen. Dann tauchen aus braunen Kartonboxen grosse Buchstaben und allerlei gewöhnliche Gegenstände auf: ein wenig Draht, zerknülltes Papier, eine kleine rote Kugel, eine Kartonschachtel, ein Massband. Das Hut-Wesen belegt die Alltagsgegenstände mit neuen Namen: die Kartonbox wird zum Leben, die Kugel zur Liebe, das Papier zum Unsinn. Sie werden von Hand zu Hand über den Tisch gereicht, begleitet von durcheinander geratenden Erklärungen. Mal meint man, aus den Wortfetzen einen Sinn herauszuhören, mal breitet sich vor einem ein einziger, unverständlicher Wörterteppich aus, und man schmunzelt ob des Unsinns.

Eingehüllt in das Wirrwarr von Klängen stellen sich unwillkürlich Fragen: Wem gehört die Sprache? Gibt es so etwas wie eigene Sprache? Wie eigne ich mir Sinn an? Sind es Symbole, mit denen «meaning meaning» arbeitet, und wenn ja, wird die Sinnhaftigkeit von Symbolen nicht gleichzeitig in Frage gestellt?

Und auch diese: Warum treten hier ein Affe, ein Mensch und ein futuristisch anmutendes Wesen gemeinsam auf? Ein wenig entsteht der Eindruck, dass meine Assoziationen damit etwas gar deutlich in Richtung Evolution und damit der Evolution der Sprache gelenkt werden sollen.

Im Moment, in dem ich so richtig in das Spiel eingetaucht bin, ist es auch schon vorüber. Das Licht geht an und Maurer meint lakonisch: «That was it». Verwirrtes Lachen, ungläubige Blicke. Im abrupten Schluss könnte man einen Mangel des Stücks sehen. Oder aber man verwertet das leichte Unbehagen darüber, dass hier wichtige Themen nur gestreift werden, und lässt sich auf ein mutiges Weiterdenken ein.

De-Konstruktion = Des-Illusionierung?

Was die KünstlerInnen hier tun, erinnert an Dekonstruktion oder Poststrukturalismus, Ideen, welche in Philosophie, Literatur- und Sozialwissenschaft theoretisiert werden. Eine grundlegende Erkenntnis der Theorien ist, dass wir mit unserem Sprechen nicht Realität abbilden, sondern konstruieren. Dinge, Symbole und Kategorien mit ihrer jeweiligen Aussage haben keine naturgegebene Essenz, sondern werden durch das Sprechen mit Bedeutungen aufgeladen. So schaffen wir Werte, Normen, Machtverhältnisse. Und nicht zuletzt auch uns selbst.

Dass viel auf dem Spiel steht, wenn an diesen Konventionen gerüttelt wird, ist klar. Denn da geht es um nicht weniger als um Selbst- und Weltbilder, um das, was uns Orientierung und Bewertung ermöglicht. Und damit geht es auch um all jene, die aus solchen Werte-Systemen Profit schlagen. Somit hat «meaning meaning» durchaus politische Brisanz, denn die Deutungshoheit über das Eigene und das Fremde, das Normale und das Abnormale spielt auch in der Geld- und Machtpolitik eine Rolle.

Mit den sechzehn Franken Eintritt bleibe ich zwar im System der «Verwerte dich!»- Gesellschaft. Und trotzdem: Was man sich hier kaufen kann, ist ein Schlüssel zu ein bisschen mehr gedanklicher Freiheit. Der Freiheit nämlich, das selbstverständlich Erscheinende zu hinterfragen – ungeachtet der Desillusionierung, die dieses Hinterfragen mit sich bringen mag.

Was Sie aus meiner Kritik wohl lesen werden? Machen Sie mich nicht verantwortlich dafür, denn l’auteur est mort. Vive le lecteur!

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