Schlangen- und Apfelfragen

Die Veranstaltung
Was: Mass & Fieber & Don Quixote: Tell / Zahhak
Wo: Theater Spektakel, Nord
Wann: 21.08.2012 bis 23.08.2012
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2012
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Der Autor
Gabriel Flückiger: Gabriel Flückiger (geb. 1988) studierte Kunstgeschichte und Ethnologie.
Die Kritik
Lektorat: Elena Ibello.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).
Von Gabriel Flückiger, 22.8.2012
«Wie läufts mit dem Freiheitskampf?» Als Wilhelm Tell während der finalen Szene des iranischen Mythos um König Zahhak die Bühne betritt, ist dies unpassend-passend. Unpassend, da der Held Feridon gerade erfolgreich gegen den böswilligen Herrscher gekämpft hat, ihm die Zeit als neuer Regent aber von einem Engel verwehrt wird. Passend, weil dieser Moment nicht nur den Wendepunkt der über 1000-jährigen Geschichte, sondern auch dieses Abends darstellt.
«Tell / Zahhak» ist eine schweizerisch-iranische Co-Produktion der Zürcher, als Kult-Gruppe titulierten, Mass & Fieber und Don Quixote. An den diesjährigen Tellspielen in Altdorf zum 500-jährigen Jubiläum des Tellmythos’ uraufgeführt, beabsichtigt das Stück einen Mythentausch. Das Konzept von «Tell / Zahhak» ist so simpel wie bestechend: Mass & Fieber nehmen sich der iranischen Geschichte des Königs Zahhak an, währenddessen Don Quixote ihre Version des Gessler-Mörders auf die Bühne bringen.
Im Fremden das Eigene
Don Quixote, die im Iran unter kreativen Prekär-Bedingungen arbeiten, wo Aufführungserlaubnisse auch nach intensiven Probezeiten nicht selbstverständlich sind, geben sich selbstbewusst. Mit voluminösen Stimmen in Farsi gesungen, wird inbrünstig, aber ohne schmierigen Pathos geschauspielert. Dramaturgisch wurde der Stoff umgekrempelt: Nach einer komödiantischen Grussverweigerung folgt eine geballte Ladung an Mordszenen (Vogt von Baumgartner im Dampfbad gelyncht/Landenberg von Melchtal bei der Schnapszeremonie erstochen/Showdown Tell-Gessler als Schwingerkampf), erst dann schiesst Tell auf den Apfel, wird eingesperrt, befreit sich und stilisiert sich zum tugendhaften Held. Unterstützt von einer schwungvoll-leichten Körpersprache der Figuren, ergibt sich ein visuell wie akustisch klangvolles Stück, das mit «Obacht»-Einblendungen über iranische Literatur- und Mythosgepflogenheiten aufklärt und so im Fremden das Eigene erklärt. Wenn dann Tells Frau (die ganze Zeit im Tschador verhüllt) gegen Ende sich von ihrem selbstverherrlichenden Helden emanzipiert, so gibt das dem Stück noch zusätzlich Gewicht.
Witzloser Witzbold
Umso schmerzlicher der Bruch zu Mass & Fieber. Ein Clown im gut gemeinten Fasnachtsverschleiss trampelt auf die Bühne, ist hilflos unlustig und versucht zur Erzählung um König Zahhak überzuleiten. Die Schilderung der Geschichte – Bösewicht Zahhak geht Pakt mit verführerischen Dämonen ein, hirnhungrige Schlangen wachsen ihm aus den Schultern, tyrannische Herrschaft im Iran, einfacher Schmied wehrt sich, Feriod als prophetischer Held kämpft gegen Zahhak – verliert mit der Zeit ihren Schwung und wirkt inszenatorisch fad. Wenn Zahhak anfangs zu groovigem Beat mit Roller-Scooter-Gang den Iran erobert, ist dies gelungen kindisch, doch funkelt solche Ironie nur selten, allenfalls bei Ferdion als Kapuzenrapper, auf.
Bis dann Tell wieder auftritt. Kurz nach ihm sind auch alle anderen Figuren, tot und lebendig, iranisch und schweizerisch, auf der Bühne. Gemeinsam setzen sie zum Nachdenken über Helden an. Und kommen zu einem überraschenden Schluss: «Helden sind die Fragen, die auf dem Friedhof liegen, die Antworten liegen bei den Lebendigen.» Fragen, die nach dem Stück im Heldengarten des Aussenbereichs mittels Skulpturen, Tondokumenten und Kurzstücken unabschliessend weiter gestellt werden. Freiheitskampf mehrdimensional.