Macht ein starkes Stück

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Macht es für euch!
Wo: Schauspielhaus Zürich
Wann: 19.12.2012 bis 04.01.2013
Bereich: Theater

Der Autor

Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)

Die Kritik

Lektorat: Patricia Schmidt.

Von Christian Felix, 21.12.2012

Vier junge Menschen im Pyjama philosophieren. Um sie herum ist eine spektakuläre Kulisse ausgebreitet: Unten Supermarkt, oben Plüschtheater, davor eine Freitreppe, alles schön bunt (in heilsamem Kontrast zum Grau vieler moderner Bühnenbilder). Dazu Musik der Sorte süss bis melodramatisch, ein Staffage voller Schalk und Augenzwinkern, irgendwie schrill und doch auch einfach schön. Nur haben sich die drei Jungs und die Frau im Schlafanzug leider in der Kulisse versteckt. Sie werden gefilmt; die Aufnahme wird auf eine Leinwand projiziert.

 Philosophie auf der Bühne

«Die Frage ist doch…», so beginnen die vier immer wieder. Sie teilen die Welt in Menschen, die sich nehmen, was sie haben wollen, und andere. Diese anderen sind langweilig. Auf das Wort langweilig hin stürzen sich alle auf den Redenden und streicheln, knutschen und drücken ihn fast zu Tode. Das wird zum Running Gag. Bald stürzt sich auch die Crew hinter der Kamera auf den jeweils Langweiligen. So kommt die ganz Schauspielertruppe ins Bild. Schrittweise verlegt sich das stets gefilmte Geschehen auf die Freitreppe vor der Kulisse. Kamera und Bühne bieten jeweils einen anderen Bildausschnitt des Geschehens; verfremden und ästhetisieren es damit.

Aber man runzelt die Stirn. Werden hier in einem Theaterstück philosophische Lehren ausgebreitet? Zumal vor der Vorstellung der Text des Stücks verteilt wurde! Ist das hier eine Vorlesung? Eine böse Bemerkung zuckt in der Feder. «Wenn ich mich für Philosophie interessiere, lese ich etwas darüber. Dazu brauche ich kein Theater. »

Es sind allerdings erfrischende und befreiende Gedanken, welche die Vier entwickeln. Sie stellen fest, dass die Leidenschaft mehr als durch alles andere durch das Spiel geweckt wird. Im Fussball oder beim Film enthemmen sich die Gefühle. Gerade weil man weiss, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Spiel handelt. Warum will man ausgerechnet in der Liebe aus dem Spiel Ernst machen? Warum spielt man nicht Liebe und geniesst sie in vollen Zügen. Wenn aus Spass Ernst wird, ist der Spass zu Ende. Wozu denn dieser heilige Ernst?

 Das Spiel auf vielen Ebenen

Das wird charmant und stürmisch vorgetragen, abwechselnd mit Schalk und mit Sprachgewalt. Sätze werden wiederholt und variieren und damit eingängig. Das Thema verschiebt sich auf Gedanken zur Theatertheorie und zur Sozialkritik. Als Rahmenhandlung dient die Herstellung des Films. Kameramann, Tonfrau, Kabelträger sind Darsteller im Stück und notgedrungen Kameramann, Tonfrau und Kabelträger, das heisst Dargestellte.  Sogar die Souffleuse wird als Figur miteinbezogen. Und selbst, wenn das Publikum gefilmt wird, spielt es das Publikum. So greifen die Räder ineinander. Was sich hochtrabend und theoretisch anhört, wird bald selbst zum Spiel. Philosophie im Theater – und es funktioniert!

Die Schauspieler schütten ein Füllhorn mit Witz und Sarkasmus aus, Kaskaden von pointierten Szenen und überraschenden Wendungen. Das ganze steigert sich. Immer schneller springen die Figuren von einer Ebene zur anderen. Die gefilmten Szenen werden zeitlich verschoben zum Bühnenspiel gezeigt. Dann plötzlich schläft alles ein. Das heisst, zunächst nur der eine Mann. Er wälzt sich unruhig schlafend über die Freitreppe, hinweg über die anderen Figuren, dann zerscheppert er noch einen Teil der Requisiten. Er steckt alle anderen an. Sie rollen über die Freitreppe. Hier hat das Bühnenspiel seinen choreographischen Höhepunkt. Die Farben der Kostüme, die Bewegungen, die Musik, alles passt und erheitert das Publikum.

 Aus Spass wird Ernst

Der ergreifendste Moment auf der Bühne ist geradezu kennzeichnend für die Dramatik von «Macht es für Euch!». Eine schwülstig-süsse Opernouvertüre von Richard Wagner erklingt. Es sei Musik, mit der man nicht in Verbindung gebracht werden wolle und die man sich doch manchmal wünsche, heisst es an anderer Stelle. Der blonde Mann im Pijama (Jirka Zett) fasst seine Liebesphilosophie zusammen. Gefilmt ist er allein im Bild, während auf der Bühne die Filmenden zu sehen sind. Der Auftritt ist ironisch gebrochen und doch nun frei von jeder Ironie. Es wirkt, als habe er wirklich eine heftige Liebe mit dem anderen Mann im Pijama gelebt. Es scheint, als sei dies mehr als nur der Einfall des Autoren René Pollesch. Jedenfalls geht die Szene unter die Haut. Womit die Frage, die auch immer wieder gestellt wird – wie nämlich das Schauspiel wohl auf die Zuschauer wirke ­– wenigstens von einer Person  beantwortet wäre.

«Macht es für euch!» ist ein fulminantes Stück.

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