Lulu, verwestes Stück Fleisch

Die Veranstaltung
Was: Lulu
Wo: Theater der Künste, Zeughaus 3
Wann: 13.12.2012 bis 15.12.2012
Bereich: Theater
Die Autorin
Patricia Schmidt: Jahrgang 1985, studierte Publizistik, Politik und Literaturwissenschaft in Zürich, arbeitet im Consulting.
Die Kritik
Lektorat: Elena Ibello.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Patricia Schmidt, 17.12.2012
Zum leben sind Sie zu jung. Also ist alles nur ein Spiel. Es kann nur ein Spiel sein. Der Einsatz ist mein Körper. Schön, dieser Körper, ganz zart, nicht wahr? Zum Anbeissen. Kommen Sie, ich tue Ihnen nicht weh. Ich, eine Mörderin? Nein. Ich habe noch niemals jemanden getötet, was kann ich dafür, wenn sich andere meinetwillen umbringen? Mein Fleisch heisst Lulu, achten Sie auf die Spielregeln.
Das Spiel, Begierde
Plötzlich ist es ganz hell im Raum. Gestalten, allesamt androgyn im Auftreten, rennen die Bühne hoch (Bühne: Lisa Überbacher). Nur Lulu (Stefanie Mrachacz) bleibt oben stehen, die anderen prallen an ihrer Unnahbarkeit ab. Sie gipfelt über ihren Untertanen. Ihre unverschämt langen Beine sind schneeweiss, als würde eine unsichtbare Eisschicht ihren Körper umgeben. Das Spiel hat begonnen.
Zu schmerzlich verzerrten Tönen vergreift sich einer nach dem anderen(Musik: Marcus Thomas). Hände fassen um Lulus schmale Taille, grabschen nach ihren Brüsten, ihren Schenkeln. Starke Arme drücken sie gegen die Wand, zwingen sie in die Knie. «Mit Gewalt erreichen Sie bei mir gar nichts. Sie bekommen mich noch lange nicht!», flüstert Lulu als Antwort auf diese Übergriffe einem nach dem anderen ins Ohr. Sie bleibt dabei seelenruhig, kein Funkeln ist in ihren Augen zu finden. Es ist doch alles ein Spiel und so leicht gewinnt keiner.
Immer weiter muss es also gehen, immer weiter und weiter. Bis nur noch der Letzte steht. Wer sich nicht an die Spielregeln hält, zu sehr begehrt und an seiner Begierde verzweifelt, bleibt hinter den anderen zurück, sät als Leiche den Weg. Dr. Groll liegt schon unter der Erde. Schwarz (Urs Humbel) und Dr. Schön (Niklas Leifert) sollen folgen. Passt auf in welche Fussstapfen ihr tretet. Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich nur gern zu schnell.
Der Einsatz, mein Fleisch
Lulu, eine Monstertragödie von Frank Wedekind stellt Fragen nach Macht, Liebe und Sexualität. In ihrer Bearbeitung spielen Anne-Süster Andresen (Regie) und Mia Panther (Dramaturgie) mit der hauchdünnen Linie zwischen Begierde und Verzweiflung. Stetig schwankt die Atmosphäre zwischen knisternder Erotik und kalten Machtgelüsten. Das Masterprojekt des Studiengangs Theater der Zürcher Hochschule der Künste macht aus Lulu so eine sadomasochistische Tragödie, die alle Protagonisten gebrochen zurücklassen soll.
Plötzlich ändert sich das Licht. Lulu steht noch immer ganz oben, nur hat sich die Perspektive verändert. Ganz oben heisst nun nicht mehr über jemanden zu gipfeln, sondern die höchste Stufe der Selbstdegradierung erreicht zu haben. Die vielen Hände haben ihre Eisschicht zum schmelzen gebracht, ihr Fleisch scheint abgegriffen. Der Duft der Verwesung haftet an ihr. «Begehre mich», «bitte, peitsche mich noch ein letztes Mal!» fleht sie. Die Musik antwortet mit dumpfen Tönen. Lulu hat das Spiel verloren.