Tour d' Horizon zwischen Ernst und Augenzwinkern
Die Veranstaltung
Was: Liederabend: Hermann Hesse (1877 - 1962) - Vertonungen seiner Zeitgenossen
Wo: Zürich, Kleiner Saal der Tonhalle Zürich
Wann: 02.04.2012
Bereich: Musik
Die Autorin
Sophie Caflisch: Jahrgang 1983, Studium Phil. I, Assistentin an der Universität Zürich, davor Praktikantin am Fabriktheater Rote Fabrik und am Stadttheater Solothurn. Journalistisch tätig im Rahmen des Nachwuchs-Opernprojektes «OpernHausen».
Die Kritik
Lektorat: Anja Wegmann.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Liedrezital Zürich (siehe Unabhängigkeit).
Von Sophie Caflisch, 3.4.2012
«Ein jeder lauscht und jeder sinnt» – so dichtete Hesse einst, passend zum gestrigen Liederabend zu Ehren seines 50. Todesjahres. Seine zahlreichen Gedichte zur Todessehnsucht könnten den Eindruck erwecken, dass er schon früher hätte sterben wollen. «Wo mag meine Heimat sein?», fragte er sich stets und fand sie dann doch nicht im Tod, sondern im Tessin. Dort liess er sich zu kontemplativen Naturbetrachtungen anregen, die er immer wieder mit tiefsinniger Introspektion kombinierte. Die Freunde des Liedes, meist ältere Damen und Herren, sind tatsächlich auch wegen Hesses Lyrik hier und fragen sich vorab skeptisch, ob ihnen «so moderne» Vertonungen seiner Gedichte gefallen könnten.
Perfekte Harmonie
Sie werden nicht enttäuscht. Die Liedauswahl, welche die Mezzosopranistin Claude Eichenberger und ihre Begleiterin Felicitas Strack präsentieren, läuft nicht Gefahr, an Mendelssohn und Schubert gewohnte Ohren zu sehr zu irritieren. Die beiden Künstlerinnen harmonieren hervorragend und sind mit heiligem Ernst bei der Sache. Der Ernst bekommt nicht allen Liedern gleich gut. Gleich zu Beginn hören wir ein Werk des jüdischen Komponisten Paul Breisach, das seinen Charakter als überschwänglich-sehnsüchtiges Liebeslied erst entwickelt, als es – viel entspannter – als zweite Zugabe wiederholt wird. «Der Wanderer an den Tod» von Walter Jesinghaus hingegen sorgt ohne Aufschub für Gänsehaut, und auch «Im Nebel» in der Vertonung von Egon Kornauth verfehlt seine Wirkung nicht. «Kein Mensch kennt den andern, jeder ist allein.» Nachdem dieser berühmte Satz verklungen ist, wagt es keiner sich zu rühren, bis schliesslich jemand leise hustet.
Eine Prise Humor
Humor im Programm bietet das Lied vom Pfeifen des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck, dessen Bronzebüste das Publikum schon beim Eingang begrüsst hatte. Claude Eichenberger ist jetzt so richtig in ihrem Element, und das Publikum gluckst erleichtert. Die Tour d’ Horizon der Liedkomponisten jenseits von Schubert und Brahms findet ihren Höhepunkt in zwei besonderen Perlen. Ursula Mamlok, die einzige Komponistin, die noch lebt, verleiht dem manchmal beschaulichen Hesse durch ihre Musik eine dramatische Note, und Yrjö Kilpinen weckt Assoziationen an finnische Weiten. Auch der Humor wird noch gesteigert, indem das Lied vom Pfeifen als Zugabe zum charmanten Pfeifkonzert der Sängerin wird.
Pastellfarben und Grossmütter
Eine Sängerin im Abendkleid, eine Pianistin im eleganten Anzug, und ein lackschwarzer Flügel von Steinway, der ehrwürdig-diagonal auf der Bühne thront, im Hintergrund Täfer mit Goldrand und im Vordergrund pastellfarbener Blumenschmuck – die Zauberformel fast jeden Liederabends. Vielleicht braucht es früher oder später neue Formeln, damit die Liedkunst nicht mit ihrem Publikum ausstirbt. Oder mehr Ohren, die mit dem Herzen der Grossmutter lauschen, die frau vielleicht einmal sein wird. Und das mit dem grössten Vergnügen. Wie meine.