Gesprochene Bässe und gesungene Trompeten

Die Veranstaltung
Was: Jurczok 1001: Spoken Beats
Wo: Theater Neumarkt
Wann: 10.03.2012
Bereiche: Literatur, Performance
Die Autorin
Rafaela Roth: Jahrgang 1987, kultiviert ihre Schreibe an der ZHdK im Masterstudiengang «publizieren & vermitteln», setzt wann immer möglich Kopfkino-Artikel für verschiedene Medien auf und hat einen Bachelor in Kommunikation.
Die Kritik
Lektorat: Gabriele Spiller.
Von Rafaela Roth, 15.3.2012
«Das isch de Bahnhof, de Träffpunkt, de chlii Platzspitz, da gsehsch wär dezue ghört und wär nu abblitzt. Technochöpf, Rocker und d’Italos mit de derbschte Mode und de neuschte Droge und all lueged so, als würdeds de Ernschtfall probe», mit dieser Anekdote, gut beobachtet am Bahnhof Wädenswil, holt Jurczok 1001 sein Publikum und gleichzeitig seine ersten Lacher ab. Doch Jurczok 1001 rezitiert nicht einfach Gedichte, sondern spricht seine Reime so rhythmisch, dass man dazu tanzen könnte.
Der 37-Jährige, mit bürgerlichem Namen Roland Jurczok, steht auf der Bühne des grossen Saals im Theater Neumarkt. Die Küchentheke, die Stühle, der Wäschekorb und das Klavier vom Bühnenbild des aktuellen Stücks «Woyzeck», sind an die Wände geschoben. Sie haben den zwei Mikrophonen, dem Loopsampler und dem Laptop Platz gemacht, die Jurczok für seine Kunst braucht. Der gebürtige Wädenswiler mit polnischen Wurzeln und blasser Haut trägt ein elegantes Sakko, ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt und an den Füssen lässige Sneakers. Seine feinen Händen schmeissen die derbsten Rapper-Gesten und kurz bevor man sich im amerikanischen Getto glaubt, durchbricht der MC und Rapper sein Programm mit seiner feinen souligen Gesangstimme, die es bis in die höheren Register schafft.
«D’Wältwuche»
«Woher söli d’Liebi neh? Woher söll s’Vertraue cho?», singt der Rapper mit wehmütiger Stimme über einen Klangteppich aus Bläsern und Schlagzeug, den er vor den Augen, beziehungsweise Ohren seines Publikums aufbaut. Dabei bedient er seinen Loopsampler so dezent mit dem Fuss, dass man überrascht ist, plötzlich eine zweite Begleitstimme zu hören. Die gesungenen Songs erinnern in Ansätzen an die Worksongs afroamerikanischer Feldarbeiter und die Raps können mit denen bekannter Mundartrapper mithalten. Auch Mundart-Techno erschallt mit «Gimmer din Hit» glaubwürdig aus der Human Beatbox. Der Dichter verbindet Rap und Lyrik, spielt mit abartigen Eigenarten des «Züridütsch», erzählt von Liebe, Selbstzweifeln, Sehnsüchten, Entscheidungsfindung und coolen Jungs. Dabei bringt er sein Publikum immer wieder zum Lachen und überrascht mit philosophisch angehauchten Freestyle-Einschüben. Bei einer knapp fünfminütigen Performance, bei der er nur die Wortkombination «D’Wältwuche» in verschiedenen Betonungen wiederholt, steht so viel zwischen den Zeilen, dass das Gelächter auch vor den hintersten Reihen keinen Halt mehr macht. Politisch, wie die Texte noch waren, als Jurczok 1001 im Duo mit Musikerin und Autorin Melinda Nadj Abonji tourte, sind sie in seinem aktuellen Soloprogramm «Spoken Beats» aber nicht mehr. Dafür erweist er sich als penibler Selbst- und Fremdbeobachter.
Anregende Werkschau
Die Abschlüsse seiner Songs wirken manchmal etwas beliebig und nicht sauber auf den Punkt gebracht. Dafür hat der Sänger, Dichter und MC eine höchst präzise Ausdrucksweise und unterhält sein Publikum, in dem sich blonde, braune, graumelierte bis silberige Frisuren mischen, mit Witz und Ironie. Mit Sprüchen wie «Ich begleite mich ja auch selber, also könnt ihr mich auch begleiten», sichert er sich die Sympathie und das Mitmachen der Zuschauer. Die wechselnde Werkschau von Raps über rhythmisch erzählte Texte bis hin zu den neuen souligen Songs ist anregend und zeugt von der Vielseitigkeit des Künstlers, der zu den Pionieren der Spoken-Words-Bewegung gehört. Das Publikum im Neumarkt klatschte ihn jedenfalls so oft auf die Bühne zurück, dass er sich genötigt fühlte zu sagen: «Aso lueg, ich gang jetzt hindere, und chum denn nüme vüre!»