Geduldsspiel

Die Veranstaltung
Was: Jetse Batelaan & Ro Theater: Bunter Abend mit Bodybuildern
Wo: Theater Spektakel, Süd
Wann: 20.08.2012 bis 22.08.2012
Bereiche: Tanz, Theater, Theater Spektakel 2012
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Elena Ibello: 1982 geboren, seit 2003 freie Journalistin. Im Master-Studium Art Education, publizieren&vermitteln, an der ZHdK.
Die Kritik
Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).
Von Elena Ibello, 21.8.2012
Lange, sehr lange singen die Schauspieler in «Ein bunter Abend mit Bodybuildern» von Jetse Batelaan und dem Ro Theater ihren Text bereits. Das war erst irritierend, dann lustig, dann rührend, dann mühsam. Die Schauspieler sind Laien und in Wirklichkeit harte, kickboxende Jungs aus Rotterdam und sie spielen Szenen aus einem durchschnittlichen Alltag. Aber nun, gegen Ende der Performance, verschwindet die Melodie aus dem Text. Nämlich als einer der Jungs vor das Publikum tritt und sagt: «Mein Name ist Gui und in der nächsten Szene spiele ich mich selber mit 14 Jahren». Sofort wird deutlich, wie unterschiedlich der Alltag der Menschen doch ist. Hatten die jungen Sportler gerade noch Arzt, Bäcker, Kunde gespielt und dabei (aus Unbeschwertheit?) gesungen, zeigen sie nun, was sie in ihren wirklichen Leben so mach(t)en. Wo vorher schier unendliche Belanglosigkeit gezeigt wurde, flackert nun echtes Leben auf, rauscht die Zeit plötzlich vorbei – und reicht nicht mehr aus, um die packende Geschichte fertig zu erzählen. Gui verfügte mit 14 schon über mehrjährige Erfahrung als Drogenkurier und wurde von Dealern aufs Gröbste verhauen. Solche Dinge erzählt Gui, während er von einem Fuss auf den anderen tritt, mit einer leisen Stimme ohne Melodie. Und als er dazu ansetzt, etwas wirklich zu offenbaren, bricht der harte Junge in Tränen aus. Die anderen nehmen ihn in den Arm, klopfen auf seine Schultern. Und gehen mit ihm ab.
Diese Szene ist eine kleine Offenbarung. Sie öffnet eine neue Dimension und straft das Publikum Lügen. Denn bis dahin wurde auf der Zuschauertribüne gestöhnt, geächzt und auf den Stühlen hin- und her gerutscht. Vielleicht hätte man dem Untertitel der Vorstellung im Voraus mehr Beachtung schenken sollen: «Eine authentische Darstellung unangebrachter Schüchternheit». Da liegt die Langatmigkeit eigentlich bereits drin verborgen – im Gegensatz zum Titel. Ein bunter Abend. Mit Bodybuildern! Das könnte ja etwas werden.
Schüchternheit strapaziert
Es wird aber etwas anderes als ein heiter-lustiges Vergnügen. Es wird einem hin und wieder auch zu bunt. Ein langer erster Teil dieses Abends mit «Bodybuildern» besteht aus kurzen Szenen: Situationen beim Arzt oder beim Bäcker beispielsweise. Nichts Aufregendes. Gespielt werden sie von den harten Jungs in Boxermontur – eben singend. Vor jeder Szene stellen sie sich separat vor und sagen, welche Rolle sie gleich spielen werden und zwischen jeder Szene findet ein kleiner Umbau statt. All dies geschieht mit einer Langsamkeit, die nach einiger Zeit im überhitzten Raum zum Gegenteil von Schüchternheit wird. Wer erlaubt sich, das Publikum immer wieder so lange auf das Spiel warten zu lassen? Und dann auch noch so zu spielen? Natürlich: Wer sich im Vornherein informiert hat, dem wurde freundlicherweise angekündigt, dass schauspielerisch nicht extrem viel zu erwarten sei. Aber auf die Kombination mit dieser weitschweifigen Belanglosigkeit wurde man nicht vorbereitet. Schon nach der ersten Szene verschwinden einige Zuschauer durch den Notausgang. Wer bleibt, dem geht das Singen der neun Schauspieler irgendwann auf die Nerven und man fragt sich, ob Batelaan diese Form schlicht und ergreifend der Einfachheit halber gewählt hat. Wer den Text singt, braucht zumindest für das Sprechen keine schauspielerischen Fähigkeiten. Aber das kann man sich dann doch kaum vorstellen. Am Ende der Performance bietet sich tatsächlich eine bessere Vermutung an: Die Zuschauer werden in der letzten Szene mit Gui nicht nur erlöst, sondern überwältigt. Das also ist die Belohnung für das Ausharren im langen ersten Teil. Nur dadurch kann überhaupt diese Wirkung entstehen.
Die Form gibt den Inhalt
Dabei steht es zu Beginn, während einer Einführung durch den Regisseur, um die Erwartungen noch ganz anders. Die «Bodybuilder» warten hinter einer geschlossenen Tür. Das weiss man, weil man sie hört: Sie toben wie Löwen im Käfig, die in die Arena gelassen werden wollen. Sie brüllen und poltern und geben keine Ruhe. Doch als sich die Türe endlich langsam öffnet, werden die Jungs ganz still. Kein Mucks ist mehr zu vernehmen. Sie blicken schüchtern ins Publikum und schliessen die Türe wieder sachte. Diese geht mehrmals wieder auf und zu, wobei hin und wieder einer der Jungs, oben ohne und im Boxer-Outfit, auf die Bühne tritt, das Publikum höflich begrüsst und sich mit Namen vorstellt. So geht das eine Weile und wirkt ganz rührend. Sofort wird klar, was mit der «unangebrachten Schüchternheit» im Untertitel der Veranstaltung gemeint ist. Diese zaghaften, höchst anständigen Auftritte wollen so gar nicht zum Bild passen, das diese Jungs abgeben. Auch nicht zu ihrem lässigen Gang und den Tattoos. Und doch ist einem die unangebrachte Schüchternheit in gewissem Sinne vertraut. So wirken sie manchmal auch «in Echt», die harten Jungs, die Anstand noch in der Kinderstube lernen mussten, aus der sie meist zu früh herauswuchsen.
Bemerkenswert, wie Batelaan seine Beobachtung von Welt in eine sehr ungewöhnliche Form überführt und die Zuschauer trotzdem an der Alltagserfahrung packt. Später, als sich alles zu wiederholen scheint, wird es einem zu bunt. Und deshalb geht Batelaans Rechnung auf.
Nach Guis eindrücklichem Auftritt hat sich die Mühe also gelohnt, man ist einigermassen versöhnt mit Batelaan und seinen Bodybuildern. Doch just bevor man in den Sommerabend entlassen wird, setzt das Ro Theater noch zu einer Zugabe an. Der aufwendigste Umbau des Abends findet statt, was die Geduld der Zuschauer nun doch arg strapaziert und den gelungenen Bruch von vorhin leider aufzulösen droht. Gespielt wird eine kleine Anekdote, die inhaltlich kaum Überraschendes bietet und in der Form wieder die Langfädigkeit vom ersten Teil aufnimmt. Dabei bleibt unklar, wozu es diese Zugabe braucht.
Der Eindruck, den die Zuschauer nach Hause begleiten dürfte, werden dennoch kaum die hübschen Melodien sein, in denen die meisten Texte vorgetragen wurden, sondern Guis gedämpfte Stimme, mit der er Bekenntnisse über ein Leben am Rande der Gesellschaft preisgegeben hat.