Maschinengesänge

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Hermes – Eine Handy-Oper in vier Akten
Wo: Kunstraum Walcheturm
Wann: 12.09.2012
Bereiche: Digitale Medien, Musik, Performance

Der Autor

Tilman Hoffer: Jahrgang 1988. Studierte Soziologie, Philosophie und Literarurwissenschaft an der Universität Zürich, gegenwärtig Geschichte und Philosophie des Wissens an der ETH. Ist literarisch tätig.

Die Kritik

Lektorat: Patricia Schmidt.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben vom Migros-Kulturprozent (siehe Unabhängigkeit).

Von Tilman Hoffer, 19.9.2012

«BEHRINGER: Sie schnauben, sag ich dir.
DAISY: Du bist verrückt, sie singen.
BEHRINGER: Dann bist du einfach unmusikalisch.
DAISY: Was verstehst du von Musik, mein armer
Freund. Und dann sieh doch nur, sie spielen, sie tanzen!»
Ionesco, «Die Nashörner»

Es gibt Kunst, die durch das wirkt, was sie sagt oder abbildet; und es gibt Kunst, die durch das wirkt, was sie ist. Sie schafft eine neue Erlebnisweise, eine sensibility, wie Susan Sontag sagen würde. Sie wirft durch ihre schlichte Präsenz, durch ihr So-und-nicht-anders-gemacht-sein, Fragen auf. Sagen wir in diesem Fall, der Einfachheit halber, Fragen über Maschinen und Information. Diese Fragen sind begrifflicher Natur; es ist in der Tat buchstäblich ein «Digital Brainstorming» (so der Titel der Veranstaltungsreihe des Migros-Kulturprozent).

In dem multimedialen Schauspiel «Hermes», das der Berliner Künstler Karl Heinz Jeron inszeniert und das man wohl auch irgendwie als «Oper» bezeichnen kann, geht es in vier Akten vorgeblich um die Themen Geheimnis, Sex, Schuld und Verrat – also um uns Menschen und das, was wir so tun. Tatsächlich besteht der Text des einzigen Librettos aus Fragmenten, die Jeron Handy-Telefonaten in öffentlichen Verkehrsmitteln abgelauscht hat (wer öfter Zug fährt, weiss: diese Telefonate allein beweisen, dass uns der richtige Umgang mit mobiler Kommunikation noch fehlt und vielleicht noch einiges mehr). Das Bühnenbild besteht aus frei zugänglichen Grafiken aus dem Internet. Die Sänger allerdings, die das Sample intimer, persönlicher Bekenntnissen vortragen, sind Roboter. Sie sind etwa einen halben Meter hoch und bewegen sich mithilfe kleiner Rädchen. Sie haben Anzeigen, die blau leuchten. Begleitet werden sie von einem Chor aus anderen Robotern, die an einer Leine über ihnen hängen. Ihre Stimmen sind hoch und fein, friedlich und dennoch seltsam abweisend; die Modulationsskala ist beeindruckend; die emotionale Ausdrucksstärke ist naturgemäss begrenzt.

Verfremdung

Der Kunstraum Walcheturm ist ein frugaler Saal mit nackten Wänden und hohen Decken; nur ein paar Trägerbalken aus Holz ziehen sich durch das Weiss. Es ist dunkel, auf dem Boden zittern die projizierten Bilder. Das alles hat etwas sehr Andächtiges, als hätte eine Ordensgemeinschaft sich hier versammelt, um konspirativ die Botschaft der Maschinen zu empfangen. Doch es ist im eigentlichen Sinne keine Botschaft; das Medium ist die Botschaft. Nachrichtentechnisch betrachtet, operieren die Gesänge der Maschinen an der Grenze zwischen Information und Rauschen. Die Worte kommen, sind aber unendlich fremd. Man könnte meinen, sie kämen aus einer kalten, von Schaltkreisen regierten Zukunft, oder sogar aus Japan. Eine Verfremdung, von der Brecht sicher nicht mal zu träumen wagte.

Die Versuchung ist stark, Anthropomorphismen zu bemühen, um den Eindruck zu beschreiben, den die Roboter auf den Betrachter machen. Man ist verleitet, ihnen fast so etwas wie Weisheit oder Erleuchtung zu unterstellen, von so fern scheinen sie auf das Sprechen herabzublicken, das sie da wiedergeben (ihr Sound erinnert ein wenig an das düster-beschwörende Titelstück aus Philipp Glass’ Filmmusik zu «Koyaanisquatsi»). Doch wirken sie auch seltsam verloren, als hätte man sie aus einer Sprache ausgesperrt, deren Laute sie zwar mehr oder weniger reproduzieren können, deren Tiefe ihnen jedoch für immer verschlossen bleiben wird. Es mag lächerlich sein, sich über die Befindlichkeiten von Robotern Gedanken zu machen. Doch in dem Moment, in dem eine Maschine eine eigene Stimme hat, ist sie weit mehr als nur ein Recorder – aus dem einfachen Grund, dass eine Stimme weit mehr ist als ein Speichermedium für wo auch immer herrührende Zeichen. Sie ist wesentlich Ereignis, akustische Materialität. Sie kommt zu uns aus einem noch undefinierten Raum.

Auslöschung der Schallquellen

Der Effekt, der dadurch entsteht, ist ein Maximum an Distanz. «Und was voriges Jahr war, war auch bereits da. Es gab nur nicht genügend Beweise.» «Bin ich den Sex nicht wert oder was?» «Also ich habe das schon des Öfteren gesehen, im Fernsehen kommt sowas auch.» Diese Sätze wirken schon in schriftlicher Form wie gehöriger Quatsch. Und jetzt denke denke man sich die quasi-ausserirdischen Maschinenstimmen dazu. Wovon berichten sie? Man möchte sagen, von gar nichts. Wessen Worte sind das? Und wen kümmert es überhaupt, wer spricht? Das Informations-Recycling vernichtet den Informationswert ebenso wie die Subjektwerte von Sendern und Empfängern. Schallquellen, that’s about it. Man schreit, man telefoniert, man röchelt, man schweigt – ein exemplarischer Lebenslauf unter dem Gesichtspunkt der Lautproduktion. Am Ende ist alles gesagt. Erde wird die Sprachlöcher füllen.

Leise Ironie

Natürlich darf man bei aller Feierlichkeit keinesfalls die leise Ironie, das Spielerische und Ungerichtete vergessen, ohne die das Treiben von Jeron und seinen «willfährigen Gesellen» sicher einen viel Charme verlieren würde. Jeron beteuert im einleitenden Vortrag (und belegt es anhand von Videobeispielen), es gehe ihm im Grunde nicht um Musik, sondern um Klangwelten; um die Töne, die sich aus den Dingen unserer Umgebung gewinnen lassen, wenn man sie – buchstäblich – unter Strom setzt. (Übrigens, daran sei an dieser Stelle erinnert, war vor kurzem der hundertste Geburtstag von John Cage). Eine merkwürdige Art, durch die Welt zu gehen, gewiss. Und wenn man für einen Augenblick vergisst, dass man sich hier im Kontext der Kunst befindet, wo alles erlaubt ist, bekommt das Ganze tatsächlich etwas Absurdes. Im Übrigen jedoch gehe ich davon aus, dass man über die oben angedeuteten Ideen schon bald aus anderen Gründen lachen wird (spätestens Ende der 2020er, wenn nach dem Wegfall der Subventionen und gegen den erbitterten Widerstand der Künstlergewerkschaften die Beschäftigung von Robotersängern an den europäischen Opernhäusern zum Normalfall geworden ist).

Im Allgemeinen sind wir stolz auf unsere Stimmen, vielleicht sogar auf unsere Worte. Doch schon die harten, aber letztlich noch überschaubaren Abweichungen der Maschinengesänge lassen uns zweifeln, was unsere Stimmen wert sind, wenn man ihnen von einem anderen, sich noch in Hörweite befindlichen Punkt aus lauscht. Hermes ist der Schutzgott der Redekunst, und er ist auch der Bote zwischen dem Reich der Menschen und dem Olymp, dem Sitz der Götter. Aber welchem Olymp?

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