Konfrontation mit XXL-Köpfen

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Heike Kati Barath: «mannomann»
Wo: Mark Müller Galerie
Wann: 05.05.2012 bis 02.06.2012
Bereich: Bildende Kunst

Die Autorin

Isabel Münster: Jahrgang 1977, studierte Erziehungswissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie, besuchte den Nachdiplomkurs Curating an der ZhdK und ist als freie Kuratorin tätig. Seit 2010 macht sie den Master Art Education in der Vertiefung „publizieren & vermitteln“ an der ZHdK.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Mentorats zur spezialisierten Publikationspraxis im Master-Studiengang publizieren & vermitteln entstanden.

Von Isabel Münster, 15.5.2012

Ein Holzkorpus mit Glatzkopf schwankt auf einen zu. Auf drei grossen, übereinander hängenden Leinwänden kommt er einem entgegen, sobald man in den Räumen der Galerie Mark Müller steht, wo derzeit die Ausstellung der deutschen Künstlerin Heike Kati Barath zu sehen ist.

Im Hintergrund sieht man blauen Himmel mit weissen Dunstwolken. Der Blick schweift in die Höhe und man betrachtet den rundlichen Riesenkopf, der auf einem Holzpfahl balanciert und entrückt über alle Häupter hinweg grinst. Der Pfahl steckt auf einem Gerüst aus sich kreuzenden Holzbalken, an dessen Seiten abgewinkelte, hölzerne Unterarme baumeln. Sie erscheinen ungelenk und enden unerwartet in weissen Fingerhandschuhen, denen etwas Clowneskes anhaftet. Eine Hand ist geballt, die andere hängt schlaff herab. Zwei verformte Hölzer stecken am unteren Ende in schwarzen, knöchelhohen Schuhen.

Das Gemälde «o.T.» stammt aus dem Jahre 2011 und offenbart die Fusion von zwei Themen, mit denen sich die 1966 geborene Künstlerin beschäftigt: frontale Porträts mit übergrossen Köpfen und das Material Holz. Ihre Vorliebe für die Porträtmalerei entdeckte Heike Kati Barath vor vierzehn Jahren, während ihres Abschlussjahres an der Kunstakademie Münster. Seither porträtiert sie wuchtige Frauen- und Männerköpfe, aber auch Babys, Hasen, Monster und androgyne Wesen.

Spiel mit Mimik

Der Künstlerin ist es gelungen, die Porträtmalerei neu zu interpretieren, indem sie die Gesichter auf eine infantil wirkende Weise abstrahiert. Sie zeichnet jenseits von naturgetreuen Proportionen und reduziert die Gesichtsmerkmale auf das Wesentliche. Alle Augenpaare stellt die Künstlerin so klein wie möglich dar, weil ihr Durchmesser letztlich nicht entscheidend sei, um den jeweiligen Gemütszustand auszudrücken. Heike Kati Barath malt freundliche oder böse, ängstliche oder mutig dreinblickende Äuglein, weil sie das Spiel mit der Mimik reizt.

Der Blick eines Frauenkopfes fixiert uns bedrohlich von der Leinwand. Ihre langen rotblond gewellten Haare sind straff hinter die zwei grossen Ohren gezogen und deuten eine Frisur der deutschen Renaissancemalerei an, wie etwa die Frauen in den Gemälden von Hans Baldung Grien. Aufgrund der drei Kratzer am Hals, der geröteten Mundpartie, dem schwarzen Vogel auf der Schulter und dem düsteren Hintergrund stellt sich ein unheimliches Gefühl ein und man fragt sich unweigerlich, was diese Frau hinter ihrem finsteren Mienenspiel wohl verstecken mag?

Auf der anderen Seite des Raumes hängt ein weiteres Frauenporträt. Hellblonde Strähnen schlängeln sich ihr vom Kopf herab. Der Blick der Frau ist sehr direkt und hat fast etwas Hypnotisierendes. Ein leicht geschwungener, roter Strich deutet ein Lächeln an und hinter der rechten Schulter guckt ein schwarzer Affenkopf hervor, der mit dem dunklem Hintergrund verschmilzt und die viel gestellte Frage ins Gedächtnis ruft, ob der Mensch nun vom Affen abstamme oder nicht.

Traditionsbrüche mit vollem Körpereinsatz

Manchmal klebt Heike Kati Barath Wackelaugen auf ihre Gesichter, spritzt mit Fugendichter strähnig wirkende Haare oder konzentrische Kreise in die Augenhöhlen. Gerne experimentiert die Wahlberlinerin mit andersartigen Materialien und Techniken und fertigt streckenweise eigenwillige Büsten an. Der regelmässige Bruch mit der traditionellen Ölmalerei macht einen wesentlichen Teil ihrer künstlerischen Arbeitsweise aus. Nur so kann sie sich letztlich immer wieder mit frischem Elan und neuen Ideen der reinen Malerei zuwenden.

Um ihre grossflächigen, rosafarbenen Gesichter an der gewünschten Position zu malen, steht Heike Kati Barath bei ihren zumeist grossformatigen Leinwänden auf einer Leiter. Hochkonzentriert und mit vollem Körpereinsatz beginnt sie stets im Zentrum und arbeitet sich dann mit kreisenden Pinselbewegungen nach aussen. So entstehen mal rundliche, mal ovale Riesenköpfe, die meistens eine hohe Stirn und ausgeprägte Ohrmuscheln aufweisen. Bei eingehender Betrachtung kann man die Pinselführung mit den Augen zurückverfolgen.

Wechselbad der Gefühle

Es fällt auf, dass nur zwei Bilder in dieser Ausstellung gänzlich ohne menschliche Elemente sind. Einmal ist es eine Aquarellzeichnung, auf der in roten Grossbuchstaben der Ausstellungstitel «mannomann» prangt, zum anderen ist es ein weiteres dreiteiliges Kunstwerk mit einem labilen Holzturm. Dieser erinnert an ein riesiges Mahnmal, das hoch hinauswächst und die Räumlichkeiten sprengen könnte, wenn es nicht solch eine wacklige Konstruktion wäre. Deshalb vermittelt der Turm eher den Eindruck, als ob er jederzeit über einen hereinbrechen könnte, während der Blick in den sich dahinter erstreckenden Himmel abschweift.

In der aktuellen Ausstellung Baraths erlebt der Besucher ein Wechselbad der Gefühle: er fühlt sich von einem Holzgerüst mit Kopf bedrängt, muss sich vor bösen Blicken fürchten, meint vor einer blondierten Medusa zur Salzsäure zu erstarren oder bangt von einem herabfallenden Stück Holz getroffen zu werden. Die Malerei mit ihren kräftigen Farben und den unproportionalen Grössenverhältnissen zwängt sich auf – man entkommt ihr nicht. Vielmehr muss sich der Besucher den herausfordernden, flächigen Gesichtern und instabilen Holzgerüste stellen, um irgendwann desillusioniert zu erkennen, dass sich hinter menschlichen Fassaden viel Unheimliches verbergen kann und Holz kein Garant für Standfestigkeit ist.

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