Feministische Problem-Collage

Die Veranstaltung
Was: Frauenbewegung ja, aber rhythmisch
Wo: Theater Neumarkt
Wann: 22.04.2012 bis 26.04.2012
Bereich: Theater
Die Autorin
Valérie Wacker: Jahrgang 1983. Pflegt Mikro-Teile des World Wide Web und ihren Kontakt zur realen Welt. Studiert an der ZHdK im Master Art Education, Vertiefung publizieren & vermitteln und davor an der ZHaW Journalismus und Kommunikation.
Die Kritik
Lektorat: Stefan Schöbi.
Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Mentorats zur spezialisierten Publikationspraxis im Master-Studiengang publizieren & vermitteln entstanden.
Von Valérie Wacker, 24.4.2012
Es sind die ewig gleichen Fragen: «Warum verdienen die Frauen in Europa im Schnitt 20 Prozent weniger als die Männer?» Und im Kontrast zu dieser Himmel schreienden Ungerechtigkeit: «Warum will ich mich nicht Feministin nennen?» Schauspielerin und Regisseurin Katarina Schröter hat all diese Fragen eigentlich satt (wie so manche Frau, die Kritikerin eingeschlossen). Trotzdem beschäftigen diese Fragen. Schröters Regie-Debüt am Theater am Neumarkt ist nun die Initialzündung zum politischen Aktivismus. Die genauen Forderungen der vierten Welle der Frauenbewegung sind in Arbeit, dem Findungsprozess kann man in der kleinen Dépendance an der Chorgasse live beiwohnen.
Hier werden Meinungs- und Geschichtsfetzen zur Collage zusammengeklebt. Zu Beginn tritt eine Marxistin auf und fordert Gleichheit, das Schlagwort der ersten Welle der Frauenbewegung: Gleichheit bei der Arbeit, bei den politischen Rechten, der Bildung. Heute alles erreicht, und irgendwie eben doch nicht.
Das weiss Schröter bestens: Ihre Mutter, Feministin der zweiten Welle, organisierte in den 70er-Jahren feministische Podien «in einer bayrischen Kleinstadt!». Das muss Schröters Bruder so entsetzt haben, dass er eine Gegenbewegung ins Leben rief, die nun namensgebend ist für ihr Stück: «Feminismus ja, aber rhythmisch».
Zum Rhythmus
In dieser Frauenbewegung geben zwei Männer den Ton an. Daniel Lerch und Markus Kubesch unterlegen (und übertönen) die Fragen, Debatten und Thesen. Auch die Schauspielerinnen nehmen immer wieder die Instrumente zur Hand, die Songs sorgen für Luft im dichten Fragen-Konstrukt. Rrrrt-Girl-Grove (Amerikas Dritte-Welle-Feminismus) kommt aber kaum auf. Die Songauswahl bleibt über weite Strecken undurchsichtig, zusammenhangslos.
Ausser dann, wenn Porno-Rapperin Lady Bitch Ray (Franziska Wulf) die Bühne stürmt, um ihren Sex-Rap ins Publikum zu schleudern. Sie macht nochmals die um ihre wilde 68er-Zeit trauernde TV-Kommissarin Michaela May (Katarina Schröter) fertig, wie in jener deutschen TV-Talksendung 2007. Auch die Auseinandersetzung zwischen Skandalautorin Charlotte Roche (wieder Wulf) und Alice Schwarzer (Tabea Bettin) musste für das Stück nicht neu erfunden werden. Die Schauspielerinnen lassen diese ohnehin extremen Persönlichkeiten in überzeichneter Art und Weise aufeinanderprallen. Pussys treffen auf Parteiprogramme, Selbstbefriedigung auf Selbstbestimmung – wie die Realität ist die Theater-Collage schrill und differenziert bis zur Unübersichtlichkeit.
Schröters feministische Mutter und ihr Rhythmus fordernder Bruder tauchen auf dem Video-Screen auf. Sie amüsieren sich bei einem Rollentausch. Sie spricht, als wäre sie der Sohn und der Sohn imitiert die Mutter. Ein liebevolles und auch entlarvendes Augenzwinkern auf dem Geschlechter-Schlachtfeld.
Die stärksten Momente bezieht das Stück aus Videosequenzen (Elvira Isenring) mit echten Frauen, die sich (Frauen-)Fragen zu ihrem Leben stellen. Forderungen zu Familie, Karriere und Lohnverhandlungen werden laut.
Bitte nicht entschuldigen, bluffen!
Der grösste Stolperstein für das Stück ist ausgerechnet ein weit verbreitetes Frauenproblem: Understatement. Die Gewehrsalven an Fragen holpern, straucheln, sitzen nicht. Die Frauen verpassen Einsätze, Unsicherheit nistet sich in der geballten Frauenpower ein – obwohl das Textbuch immer zur Hand ist.
Schröters These zum Schluss leitet sie mit der Entschuldigung ein, dass die Zeit kaum gereicht hätte. Wo zuvor die Frauen-Metal-Stimme die Gitarre überdröhnte, wird sie nun von der Musik verschluckt. Das sollte beim Schritt auf die politische Bühne nicht passieren. Im Zweifelsfall lieber angreifen und sagen: Wir wollen jetzt einfach gleich viel Lohn, verdammt!