Film und Leben – Round Table

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Locarno Film Festival

Der Filmkritiker, Autor und Kulturjournalist Andy Eglin, der selbst während drei Jahren als Delegierter des Verbands Schweizer Filmjournalisten in der Auswahljury der «Semaine de la Critique» sass, berichtet im Rahmen von vier Beiträgen über das Locarno Film Festival 2012. Die Texte werden gleichzeitig auf Journal 21 publiziert.

Der Autor

Andy Aguirre Eglin: Filmkritiker, Autor und Kulturjournalist.

Von Andy Aguirre Eglin, 10.8.2012

Fragen haben es in sich. Es gibt am Filmfestival in Locarno zu fast jedem Film eine Diskussion mit den Filmschaffenden. Die Fragen scheinen den Zweck zu haben, keine zu stellen. Keine solche, die von Belang sind. Die auch einen selbst betreffen. Was zeigte, dass einen der Film betrifft. Es liegt kaum an den Filmen. Die zeigen nur, was im Leben Sache ist: Liebe, Tod, Freundschaft, Eifersucht, Verrat, Misserfolg, unseren ewigen Blues. Aber warum stellen nur die Filme Fragen, warum zögert das Publikum? – So bleiben auch die Antworten aus. Vielleicht gibt es keine.

Fragen über Fragen

Fragen über Fragen: Manche sind schon Antworten, also keine echten Fragen. Und was sind Antworten, die nicht wieder neue Fragen aufwerfen? Peinliche Fragen bewirken Pein. Aber jede Pein ist persönlicher Natur. Ein Krebskranker hat ein anderes Verhältnis zu Krebs als ein Gesunder. Verlassene ertragen kaum Verliebte. Und wie fühlen sich Regisseure, wenn man sie nur immer artig nach der Art ihrer Filme fragt?

Art heisst auch Kunst. Kann man über Kunst über-haupt reden oder noch weniger schreiben? Fragen Sie ruhig. Fragen Sie wild. Fragen lernt man im Leben, kaum an der Universität. Fragen ist das Gegenteil von Gehorsam. Fragen ist Mut und das Recht auf Reden in einer Demokratie. Man scheut nicht mehr Antworten. Max Frisch suchte in seinen Tagebüchern keine Antworten, sondern Fragen. Siehe die Beispiele. Einige sind auch von uns. Machen Sie mit! Senden auch Sie uns Ihre Fragen an info@kulturkritik.ch – Fragen, zum Film und Leben.

Besten Dank! Andy Eglin

Max Frisch (1911–1991)

Lieben Sie jemanden? – Woraus schliessen Sie das?
Was fehlt Ihnen zum Glück?
Wofür sind Sie dankbar?
Sind Sie mit sich auch so kritisch wie mit andern?
Wie alt möchten Sie werden?
Haben Sie Angst vor dem Tod, und wenn ja, seit wann? – Was tun Sie dagegen?
Haben Sie schon einen oder eine Tote geküsst?
Haben Sie schon jemandem den Tod gewünscht?
Halten Sie sich für einen guten Freund?
Was empfinden Sie als Verrat:
a. wenn der andere es tut?
b. wenn Sie es tun?
Wie viele Freunde haben sie zur Zeit?
Was würden Sie einem Freund nicht verzeihen:
a. Doppelzüngigkeit?
b. dass er Ihnen eine Frau ausspannt?
c. dass er Personen, mit denen Sie verfeindet sind, schätzt und gerne mit ihnen verkehrt?
Kennen Sie Freundschaft mit Frauen:
a. vor Geschlechtsverkehr?
b. nach Geschlechtsverkehr?
c. ohne Geschlechtsverkehr?
Kennen Sie ein freies Land, wo die Reichen nicht in der Minderheit sind?
Wie erklären Sie es sich, dass die Mehrheit in solchen Ländern glaubt, sie sei an der Macht?

Kulturkritik.ch

Warum gehen Sie gern ins Kino? – Was vermissen Sie im Leben?
Schauen Sie gerne Sex zu im Film? Erregt es Sie, sprechen Sie darüber? Mit wem nicht? Warum?
Was denken Sie über Schauspieler, die im Film echten Sex haben?
Erinnern Sie sich an Filme mit hässlichen Hauptdarstellern?
Sie werden am Festival herzlich begrüsst von jemandem, den Sie nicht ausstehen. Was tun Sie?
Was braucht es, um echte Fragen zu stellen und echte Antworten zu erhalten? Liegt es an Ihnen?

(Dieser Fragebogen wurde am 8.8.2012 in 200 Exemplaren in den Lounges des 65. Festival Internazionale del Film di Locarno verteilt.)

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