Hoffnung auf Klärung?

Die Veranstaltung
Was: Boyzie Cekwana & Panaibra Canda: The Inkomati (dis)cord
Wo: Theater Spektakel, Süd
Wann: 16.08.2012 bis 18.08.2012
Bereiche: Keine, Tanz, Theater, Theater Spektakel 2012
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Der Autor
Gabriel Flückiger: Gabriel Flückiger (geb. 1988) studierte Kunstgeschichte und Ethnologie.
Die Kritik
Lektorat: Valérie Wacker.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).
Von Gabriel Flückiger, 17.8.2012
Politisches Theater provoziert und gibt sich gerne angriffig. Prekär wird das, wenn kulturelle und sprachliche Barrieren das Verstehen erschweren. Ein aktuelles Beispiel für die Ratlosigkeit, die daraus resultieren kann, ist derzeit am Theater Spektakel mit Boyzie Cekwana aus Südafrika, Panaibra Canda und Maria Tembe aus Mosambik und der Portugiesin Amelia Socovinho zu sehen.
Ihre Gesichter sind verdeckt: Die vier PerformerInnen halten weisse A4-Blätter mit Sichtlöchern wie Masken vor ihren Köpfen. Die Bühne ist voll mit solchen Blättern. Kindlich bemalen sie diese: Wimpern, lächelnde Münder, Tränen. Sie tauschen die Blätter untereinander, wenden sie, bemalen sie von neuem. Die verhaltenen, stummen Spielereien kommen hinter einem überdimensionierten Bilderrahmen zum Stillstand. Tableau vivant. Bis die beinlose Maria Tembe schroff aus dem Bild geworfen wird.
Scheinbarer Pakt
Dabei ist von vornherein klar: Harmonisch kann «the Inkomati (dis)cord» nicht ausgehen. Der Stoff des Stückes bezieht sich auf das Nkomati-Abkommen zwischen Südafrika und dessen kommunistischen Nachbarn Mosambik. Der Pakt von 1984 sollte die Unterstützungen der Regierungen an die Widerstandsbewegung im jeweils anderen Land unterbinden. Obwohl von den offiziellen Stellen unterzeichnet, wurde das Abkommen nie eingehalten und kurze Zeit später von südafrikanischer Seite für nichtig erklärt.
So werden auch auf der Bühne die Masken zu Geschossen. Die Papierknüllen jagen aggressiv durch die Luft und zu impulsiver Tango-Musik wird gekämpft: Zu Boden fallen, aufstehen, zu Boden fallen, aufstehen. Die Körper werden zur Metaphern des Bürgerkriegs.
Dann steigt Cekwana aus dem Kampf aus und wird zum DJ. Ein DJ allerdings, der nichts Tanzbares sondern politische Reden auflegt. Die Reden beziehen sich auf das Nkomati-Abkommen, sie werden von Staatsoberhäuptern gehalten oder richten sich an diese. Von Friede, Respekt und Harmonie ist die Rede und von der Zukunft, welche gemeinsam beschritten werden soll. Wenn dabei gleichzeitig, im Vordergrund der Bühne, die Körper von Canda und Tembe miteinander ringen, wenn sie von einander loskommen wollen und doch immer in physischer Abhängigkeit bleiben, wird vordergründige Rhetorik und der ideologische Illusionismus der Reden entlarvt. Die Texte plätschern kitschig vor sich hin und bei so viel sprachlichem Pathos und symbolischer Überschwänglichkeit wird einem übel.
Interkulturelle Verständigung
Die Zusammenarbeit von Cekwana und Canda wäre vor einigen Jahrzehnten aufgrund der politischen Spannungen der Nachbarländer nicht in dieser Art möglich gewesen. Insofern zeugt das Stück von einer Entspannung und einer Annäherung der Konfliktparteien, auf politischer wie auf zwischenmenschlicher Ebene. Dies führt aber nicht automatisch zu einer besseren Verständigung, geschweige denn zu gegenseitigem Verstehen.
Als die Reden der Politiker längst verstummt sind, beginnt Maria Tembe von einer jungen mosambikanischen Frau zu erzählen, die sich auf der Suche nach ihrem verschwundenen Freund ins Nachbarland verirrt. Die Geschichte wird als Allegorie aufs Frausein angekündigt. Während ihrer Erzählung beginnt sich Tembe aber mit Klebeband Körper und Mund zuzukleistern, bis ihre Rede zum unverständlichen Nuscheln wird. Zusätzlich erschweren die Sprachbarrieren das Verstehen (Ist es Changana oder Makua?). Die Erzählung wird in einer Personenstaffage übersetzt: zuerst ins Portugiesische, von diesem ins Englische und dann ins Märchenhafte. Dabei verunmöglichen scheinbare Missverständnisse oder merkwürdige Ausschmückungen der Geschichte den Zugang zum Gesagten. Die Erzählung nimmt abstruse Formen an: die Missverständnisse wuchern von Kentucky Fried Chicken-Filialen, die eigentlich Apotheken sein sollen, zu heiratsstrategischen Grossmüttern bis zu Präsidentenhochzeit. Das Missverständnis ist inszeniert – aber die Inszenierung generiert dadurch auch ein echtes Missverständnis. Beim Publikum entsteht Ratlosigkeit und Hoffnung auf Klärung.
Das Bühnenbild des Stücks ist spärlich (Bildrahmen und Bänkchen), das passt zum Stück. Denn dieses eckt oft an. Es wird keine runde Unterhaltung geboten. Viel eher ergibt sich ein bildstarker Abend mit kurzem, aber eindrücklichem Körpereinsatz und mit starken Momenten der Persiflage. Wörter und Satzfragmente bleiben in der Übersetzung hängen und ebenso im Ohr und in den Köpfen der Zuschauer. Das historische Nkomati-Abkommen wird dabei schonungslos als groteske Maskerade aufgedeckt. Im Gegensatz dazu bleibt der poetische Strang der Erzählung diffus. Er bleibt stecken zwischen den Sprachen, zwischen den Ländern. Er lässt Hoffnung auf Klärung wachsen, auch hier vergeblich.