Wie ist die Zeit – Black or White?

Die Veranstaltung
Was: Black Or White
Wo: Gessnerallee Zürich
Wann: 29.11.2012 bis 30.11.2012
Bereiche: Performance, Theater
Der Autor
Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)
Die Kritik
Lektorat: Gabriele Spiller.
Von Christian Felix, 30.11.2012
Im Theater spielt das Bühnenbild in der Regel eine Nebenrolle. Anders bei «Black or White». Blendend weiss, neonweiss, erheischt es schon beim Betreten der Halle Aufmerksamkeit. Es ist mehr eine Kunstinstallation als eine Kulisse: Ein quadratischer Raum mit Boden und zwei Wänden. Eine Tür. Im Raum bewegungslos ein Mann und eine Frau, mit pechschwarzen Motorradhelmen auf dem Kopf, als Teil der Ausstattung. Diese umfasst ihre fluoreszierend orangen Schuhe, seinen bunten Rubik-Würfel, weiter einen weissen Ventilator, ein paar Ballone in der Luft. Schön, wirklich wunderschön.
Diese Installation gestalten die beiden Schauspieler um. Man schaut zu, man freut sich. Es entstehen reizvolle neue Kompositionen. Musik, Geräusche, Wind kommen dazu. Und Sätze, gesprochen mit künstlich hoher und mechanischer Stimme. Die Darsteller erscheinen wie Kobolde, zumal die übergrossen Helme ihre Körper merkwürdig dünn und kraftlos erscheinen lassen.
Zeit und Rhythmus
Alles müsse langsamer werden, piepsen sie zu Beginn: «Wir müssen langsamer denken!» Diese erste Szene erzeugt einen meditativen Effekt. Man kommt herunter von seiner Erwartungshaltung, versöhnt sich mit Lücken, Leere, scheinbarer Langeweile in der Aufführung. Der ruhige oder auch der weisse Ausgangspunkt soll es ermöglichen, das Tempo zu steigern. Er scheint den Weg zum anderen Extrem zu weisen, in die Unruhe, in die Überfülle. Diese Erwartung wird nur halb erfüllt. Wirklich rhythmisch durchgestaltet ist der Auftritt von Alexander-Maximilian Giesche und Lina Hernsdorf am Ende nicht.
Mit dem Beginn eröffnen die Kobolde die Auseinandersetzung mit der Zeit. Sie gipfelt in einer erschreckenden Erkenntnis: In der Zeit des Universums ist das menschliche Leben nicht mal eine Millisekunde lang. Und in diesem Nichts an Dauer warten wir auf eine glückliche Wendung im Leben, die nie kommt. Das ist bedrückend und erst recht beängstigend. In der Tat: Die beiden Figuren haben Angst. Sie fürchten sich davor, ihre weisse Fläche zu verlassen. Zugleich gewinnt Schwarz an Boden. Ein Desaster kündigt sich an. Eine dunkle Zukunft, die irgendwie schon begonnen hat und doch nie so ganz eintritt. Die Frau und der Mann geraten in Verwirrung. Und spielen ihrer Angst zum Trotz mit dem Desaster. Sie beobachten, wie ein Flugzeug in die Europäische Zentralbank knallt. Es geschieht doch nicht. Zum Glück und doch schade. Die Videofunktion auf dem Handy war schon eingeschaltet.
Gleichgültigkeit
Sie passen ja schon zusammen, die künstliche Welt der Installation, die verstellten Stimmen, die unsichtbaren Gesichter – vielleicht als Abbild einer Welt am Abgrund. Die Einfälle von Giesche x Hernsdorf sind witzig, und stets eine Augenweide. Doch vieles wirkt willkürlich, einem einzelnen Einfall gehorchend. Weisse Kunststoffflocken fallen in den weissen Raum. Ach wie schön. Man kann darin ein Bild sehen für eine chemische Verseuchung. Oder eine ironisch gemeinte Romantik. Oder einmal mehr einfach weiss. Es ist gleichgültig, was man denkt. Das Stück weist in keine Richtung. Die Flocken haben kaum einen Zusammenhang zu irgendetwas anderem. – Am Ende tragen die Schauspieler ihre Helme nicht mehr. Was kommt jetzt? Nichts mehr. Es wird nur noch «Das Stück ist übrigens fertig» gespielt.
Als Idee ist Black or White bestechend. Nur schon rein optisch lohnt es sich, die Aufführung zu sehen. Leider wird man geistig einfach nicht ganz satt dabei. Nouvelle Cuisine alias Nouveau Théâtre? Oder haben sich Giesche x Hernsdorf die Sache doch etwas zu einfach gemacht?