Rechtes «Miststück»

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Béla Pintér & Tarsulata: Szutyok / Miststück
Wo: Gessnerallee
Wann: 18.08.2012 bis 20.08.2012
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2012

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theaterspektakels 2012. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Valérie Wacker: Jahrgang 1983. Pflegt Mikro-Teile des World Wide Web und ihren Kontakt zur realen Welt. Studiert an der ZHdK im Master Art Education, Vertiefung publizieren & vermitteln und davor an der ZHaW Journalismus und Kommunikation.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Valérie Wacker, 19.8.2012

In seiner Satire fährt der ungarische Theatermacher Béla Pintér gemächlich, aber unaufhaltsam ein ländliches Idyll an die Wand. Ein Spiegel für sein Land und dessen Rechtsrutsch.

Attila und Irén haben alles versucht, aber sie können keine Kinder bekommen. In letzter Konsequenz entscheiden die beiden sich für eine Adoption. Zwei Jahre müssten sie auf ein Baby warten, aber die halbwüchsige Rószi mit den schlimmen Zähnen könnten sie sofort mitnehmen. Diese gibt es aber nur im Doppelpack mit ihrer Blutschwur-Schwester Anita, ausgerechnet eine Roma.

Zum Glück sind die frisch gebackenen Eltern so etwas wie die Dorf-Elite. Sie Sozialarbeiterin, er Bio-Bäcker, der grösste Arbeitgeber im Dorf und Leiter des hiesigen Literaturkreises. So tolerieren die Dörfler sogar das Zigeuner-Mädchen. Die beiden Teenager mit ihren pinken Strings und knallengen Jacken bringen das ländliche Idyll ins wanken. Auf einer schlichten, länglichen Holzbühne und in ruhiger Atmosphäre schreitet die Dorfgemeinschaft innerhalb eines Jahres dem Abgrund entgegen.

Uraufführung vor Orbáns Wiederwahl

Der ungarische Theatermacher Béla Pintér und sein «Miststück» waren letzten Herbst bereits zu Gast in der Schweiz. Uraufgeführt wurde das Stück im März 2010 in Budapest, zwei Monate bevor Viktor Orbán zum zweiten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Inzwischen haben er und seine Fidesz-Partei mittels Zweidrittelmehrheit viel verändert: Besonders die Verschärfung des Mediengesetzes sorgte für Schlagzeilen in ganz Europa, jüngst kam das Religionsgesetz auf die politische Agenda. Sogar die Intendanten des Neuen Theater Budapest sind inzwischen ausgewiesene Rechtsextreme.

Der 1970 geborene Pintér gilt als einer der wichtigsten Theatermacher Ungarns und wurde mehrmals für die beste freie Theaterproduktion des Jahres ausgezeichnet. In seinen Stücken integriert er gerne ungarische Folklore, meist ironisiert.

Groteskes Maskenspiel

«Miststück» wird von einer Hirtenflöte begleitet. Der Musiker sitzt etwas zurückversetzt auf einem Stuhl mit etwa zwei Meter langen Stuhlbeinen und überblickt die Szenerie. Pintér selbst übernimmt Nebenrollen. Unter anderem die des Juryvorsitzenden, der eine Theaterproduktion der Dorfgemeinschaft auszeichnet. Wenn doch die Protagonisten nur verstehen würden, dass sie sogar zu einem Theaterfestival in Strassburg eingeladen werden! – Vielleicht würde alles ganz anders kommen.

Aber die Geschichte nimmt keine glückliche Wendung. Die beiden Teenager sind inzwischen zerstritten, ihr Blutschwur nichts mehr wert. Im Dorf, diesem Mikrokosmos, liegt immer mehr im Argen. Aus Vorurteilen werden Vorwände, hinter denen die individuellen Befindlichkeiten und Ressentiments versteckt werden.

Wenn im Stück Autoritäten auftreten, tragen sie groteske Masken mit Zacken. Im übertragenen Sinne tun das in diesem Stück alle, stellt Mutter Irén gegen Ende fest. Am deutlichsten zeigt es sich bei der mitleidlosen Rószi, die zum Schluss des Stückes mit blendend weissen Zähnen und dem rot-weissen Tuch der rechtsradikalen Jobbik-Partei auftritt.

Unschuldig bleibt niemand

Das Tuch ist ein Requisit aus der Wirklichkeit, dessen Besorgung nicht ganz problemfrei ablief, wie Pintér in Interviews berichtete. Bevor die Assistentin das Tuch kaufen konnte, wurde dessen Verwendungszweck erfragt. Mitnehmen durfte sie es erst, als der Jobbik-Parteichef persönlich seine Erlaubnis gegeben hatte. Sie musste Name, Telefonnummer und Adresse des Theaters hinterlassen.

Pintér äussert sich sonst wenig zur aktuellen politischen Situation in seinem Land. In «Miststück» landet, wie im Märchen, die Hexe zuletzt im Ofen. Das ist aber bedingt befriedigend, denn erstens geschieht es zu spät und zweitens bleibt die Frage offen, ob die Richtige verbrannt wurde. Denn ohne Schuld bleibt in dieser grotesken Farce niemand.

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