Wandern mit Walser

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: 400asa: «Der Teich»
Wo: Theaterhaus Gessnerallee Zürich
Wann: 28.06.2012
Bereich: Theater

Die Autorin

Colette Kalt: Jahrgang 1959, MAS Cultural Media Studies,Mitarbeit bei verschiedenen Medien. Habe lange Zeit dem Bild den Vorrang gegeben. Verfolge eigene Projekte mittlerweile im Bild- und Wortbereich. Arbeiten auch in der Medienbildung.

Die Kritik

Lektorat: Moritz Weber.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Theaterhaus Gessnerallee (siehe Unabhängigkeit).

Von Colette Kalt, 29.6.2012

Fünf, vier, drei, zwei, eins. Angezählt, mit der Stoppuhr in der Hand und pünktlich um  19.30 Uhr, geht «Der Teich» von Robert Walser, auf dem Platz vor der Zürcher Gessnerallee los. Schnell haben sich die Wartenden in drei Gruppen eingeteilt. Schnell, langsam und mittel. Gemeint ist wohl das Marschtempo. Nichts also mit beschaulichem Wandern auf Walsers Spuren. Mit der Entscheidung in welchem Tempo man gehen will, wählt man sowohl seinen Guide als auch seine Wanderpartner. Gut Schweizerisch entscheiden sich viele für das Tempo mittel. Die Gruppen Langsam und Schnell sind überschaubarer. Nach einer kurzen Einführung über Robert Walser, geht der Walser Darsteller und Walser Interpret, Kaspar Weiss, manchmal Fritz gerufen, in hastigen Schritten los. Die Mittleren folgen erst zögerlich, die Schnellen und die Langsamen sind schon weg. Rein in die Räume der Darstellenden Künste, durch das Treppenhaus rauf und runter, etwas über den gescheiterten Versuch Walsers, Schauspieler zu werden erfahrend. Ihm wurde völlige Talentlosigkeit attestiert und die Türen der Ausbildungsstätte blieben verschlossen. Schnellen Schrittes gelangt die Gruppe schliesslich in eine Art Notfallkäfig. Die Sicherheitstüre dürfe nicht geöffnet werden, verlangt der temporäre Walser. Dichtgedrängt unter dem Gitter den Ausführungen lauschend, die – wie angekündigt – mäandern zwischen Walser und den eigenen Erfahrungen des Schauspielers. Kaspar Weiss ist schon in seiner Jugend weit herum gekommen. Ein Leben zwischen Ankommen und Abschied nehmen, anekdotisch angereichert mit Erlebnissen aus seinem Alltag als Schauspieler. Schliesslich darf die Sicherheitstüre dennoch geöffnet werden und die Gruppe findet sich wieder an den Gestaden der Sihl, umspült von den Geräuschen der Stadt. Feuchtwarm dampft das Ufer, der kurze Regen davor hat die Luft noch mehr aufgeladen. Gehen, stehen bleiben, den Passagen aus Walsers Werk lauschen. Kaspar Weiss geht suchend, aber schnellen und fiebrigen Schrittes.

Der Sihl entgegen

«Der Teich», erstmals im Sommer 2011 anlässlich der Walser Tage Herisau aufgeführt, wurde von 400asa für die Zürcher Festspiele an die Zürcher Topographie angepasst. Der Entscheid, das Stück an der Sihl zu spielen ist naheliegend, fliesst der Fluss doch direkt hinter der Gessnerallee und wurde das Ufer in den letzten Jahren zum Naherholungsgebiet aufgewertet. Reizvoll ist diese Mischung von, städtischer Flusslandschaft, urbanen Geräuschen und poetischem Text. Das an diesem Abend so oft zitierte Wort Einsamkeit, erfährt in dieser Umgebung eine Bedeutungsverlagerung. Suchte Walser sie auf seinen langen Spaziergängen in der Natur, hetzen diese Wanderer im Stechschritt durch die Geräuschkulisse der Stadt, lauschen den Worten, die die Liebe zum Alleinsein zum Ausdruck bringen und müssen gleichzeitig noch die Sihltal-Bahn erwischen. Mitten in den Leuten, dennoch in einer andern Welt. Bei der Autobahnauffahrt wird die Wanderung fort gesetzt. Sie führt durch das Quartier rechts und links der Schnellstrasse, durch den Elfenweg, hinter den Aufschüttungen vorbei, die vor dem Strassenlärm schützen. An den Rändern der Stadt lädt ein idyllisches Viertel, das man so nicht erwartet, zum Entdecken ein. Zwei Bierchen, geteilt durch alle Durstigen, auf die Schnelle im Garten Restaurant Muggenbühl. «Diesen Ort sollte man sich merken» ist vereinzelt zu hören. Im Garten einer Bildhauerin begegnet den Wanderern zum ersten Mal Clara. Noch ist sie aus Stein gemeisselt, doch später, auf der Allmend wird sie lebendig und laut erscheinen. Den andern Fritz hat man an den Ufern der Sihl bereits gekreuzt, er wollte sich mit seiner Gruppe aber nicht anschliessen. Kaspar Weiss sucht seinen Weg, irrlichtert, ist getrieben und so wird es auch seine Zuschauerschar. Soll sein schneller Schritt übernommen werden, soll Abstand gehalten werden, soll untereinander gesprochen werden, sollen die Eindrücke miteinander geteilt werden? Mittlerweile auf der Überführung der Autobahn, eröffnet sich der Blick auf die Allmend Brunau. Im 19. Jahrhundert noch Ausflugsziel der Städter, eine Stunde Fussmarsch von der Stadt entfernt. Vielleicht war Robert Walser während seiner Zürcher Zeit auch hier auf seinen vielgeliebten langen Spaziergängen durch die Natur anzutreffen.

Täuschungsmanöver am Teich

Walser, der sich selbst als Versager und ungeliebt fühlte, behandelte in seinem einzigen Mundartstück das Thema durch Vortäuschen des eigenen Todes die Liebe der Mutter auf die Probe zu stellen. Kaspar Weiss deponiert seine schäbige Jacke am Ufer und legt seinen Strohhut aufs Wasser, (Kostüme Wanda Wylowa) damit er auch mal schwimmen dürfe und verschwindet im Schilf. Die beiden anderen Walser Charaktere Fritz und Clara, interpretiert durch Philippe Graber und Aite Ting, bis dahin mit ihren Gruppen unterwegs, treffen auf den vorgetäuschten Selbstmord . In einer Verdichtung des Stoffes und des Dichters Biografie, lockt die Gruppe den Zuschauer mehr und mehr in Walsers Universum. Das gelingt. Gebannt folgt man den drei Darstellern, ist Teil der Geschichte. Passend dazu die aufkommende Dämmerung, die der Szene (Bühne und Licht Philipp Stengele) zusätzlich Intensität verleiht. Doch aus Kaspar Weiss der doch eben noch Fritz war, wird plötzlich Ramazotti, der unter der Autobahnbrücke im Schotter, über die offene Psychiatrie im Italien der 80er Jahre referiert. Aite Ting wird zum Regisseur Michael Haneke, der mit dem Film «Das weisse Band» über das bedrückende Leben in einem Dorf kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges erzählt und aus Philippe Graber wird von Schirach. Gemeint ist wohl der Jurist und Schriftsteller Ferdinand von Schirach, der sich auch in seinen Texten mit der Frage der Schuld beschäftigt. Einerseits führt das weit weg von Walsers poetischem Universum, andererseits war die Psychiatrie – die Anstalt – für Robert Walser von 1929 bis zu seinem Tod 1956 selbstgewählte Heimat, schlägt also wiederum  einen Bogen zu Walsers biografischen Daten.

Das Alleinsein

Nach der gut zweistündigen Wanderung durch Stadtgebiet, entlang der Sihl, reicht Julian M. Schnabel (Regie) den hungrigen und wohl auch müden Walser Wanderern die Zange, damit sie sich ein heisses Wienerli aus dem Kübel greifen können. Gut Zürcherisch wird dazu ein Bürli serviert. Gerne möchte man noch verweilen, die verschiedenen Eindrücke sich setzen lassen, die unerwartet aufgetauchten tableaux vivants vielleicht noch einmal anschauen gehen, wenn sie denn noch da wären. Doch dringlich tönt die Stimme aus dem Diktiergerät: «Göht! Göht! Ig wett alläini sii.» Der Aufforderung muss Folge geleistet werden. In Dunkelheit gepackt ist die Allmend. Verhüllt, was eben noch zu sehen war. Die Haltestelle Manegg füllt sich mit den Menschen. Die Sihltal-Bahn hält auf dem einen Gleis, nimmt sie alle auf und fährt – pünktlich – um 22.00 Uhr mit ihnen zurück in Richtung Stadt.

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