Der Soundtrack für den Film im Kopf

Die Veranstaltung

Was: Vinicio Capossela - Cantautore aus Italien
Wo: Kaufleuten Zürich
Wann: 08.02.2011
Bereich: Musik

Die Autorin

Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Gabriele Spiller, 11.2.2011

Wie der Zeremonienmeister eines Wanderzirkus steht Vinicio Capossela auf der Bühne des Kaufleuten. Der Uniformrock mit den bunten Kordeln und goldglänzenden Knöpfen ist geöffnet, darunter kommt ein T-Shirt mit dem Logo seines letzten Albums «Da Solo» zum Vorschein. Auf dem Kopf trägt er einen überhohen Zylinder. Der zottelige Bart und die schwarzen Locken unterstreichen den Eindruck, dass es sich hier um den künstlerischen Direktor der bizarren Truppe handelt. Die Inszenierung hat die Patina von Stummfilmen, denn auch die Musiker um ihn verkörpern Charaktere aus vergangenen Zeiten wie den verrückten Professor, Django Reinhard, Charlie Chaplin, den Mafioso und den Campesino.

Klänge aus der Zeitmaschine

Mit «Marajà», einer ironischen Attacke auf den wie ein Maharadja herrschenden Berlusconi, macht Capossela gleich zu Beginn seinen politischen Standpunkt klar, um im anschliessenden Celentano-Song das Italien-Klischee vom Sonnenuntergang am Meer herauf zu beschwören. Das Wechselbad der Gefühle ist bei ihm Programm. Spielerisch leitet er vom melancholischen Valse zum übermütigen Pogo über. Er begleitet sich zu sanften Balladen auf dem Klavier, doch bevor die Stimmung ins Sentimentale kippt, lässt er die Rockgitarre sprechen.

Capossela präsentiert die Lieder des UK-Samplers «A Storyfaced Man», und schenkt dem Zürcher Publikum die Premiere eines Stücks seiner bald erscheinenden CD «Le Sirene». Titelansagen spart er sich, und auch die lyrischen Texte sind teilweise schwer zu verstehen, so sehr überlagern sich die Sounds, die seine Bandkollegen produzieren. Sie spielen auf Instrumenten, die man auf dem Flohmarkt oder auch in Kinderzimmern der 60er Jahre finden würde: Ukulele, Glockenspiel, Kreisel und Kinderklavier, Banjo, Hammond-Orgel. Und über allem liegt «der Geist der Maria Callas», wie Capossela die Klänge der omnipräsenten Ondes Martenot beschreibt. Mal surreal, mal beängstigend, manchmal einfach zu viel.

Geschichten, die das Leben schreibt

Der «Storyfaced Man» ist Capossela selbst, ein Mann in der Mitte seines Lebens, dem viele Geschichten ins freundliche Gesicht geschrieben stehen. Seine Lieder der letzten 20 Jahre handeln von verflossener Liebe und schlaflosen Nächten. Poetisch erzählt er von den zum Verkauf stehenden Klavieren, die sich im Flügelsaal unterhalten und sich sogar den Hof machen. Dann sitzt er nachdenklich unter einem Regenschirm und fordert zum Schnipsen auf. Bald hört man den Regen im Raum prasseln. Eine neue Episode im Kopfkino.

Das Publikum folgt ihm willig, konzentriert, möchte keine Idee und keine geistreiche Äusserung verpassen. Die anderen sind dem hervorragenden Ruf, der seinen Konzerten voraus geht, gefolgt, und werden nicht enttäuscht. Knapp zwei Stunden höchster Kreativität, musikalischen Talents und menschlicher Wärme. Die acht skurrilen Typen aus Italien haben das ausverkaufte Kaufleuten zum Träumen, zum Erinnern und zum Tanzen gebracht.

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