Stell dir vor, es ist Krieg

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Mokhallad Rasem: Iraqi Ghost
Wo: Theater Spektakel, Aktionshalle
Wann: 20.08.2011 bis 22.08.2011
Bereiche: Performance, Theater, Theater Spektakel 2011

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Fabienne Schmuki, 21.8.2011

Die Vorstellung beginnt mit einem Knall. Eine Holzbank, die der Länge nach aus der senkrechten Position zu Boden fällt. Ist es ein Schuss? Schliesslich handelt das Stück «Iraqi Ghosts» von den Kriegen im Irak. Dann tritt ein Tier aus der Dunkelheit hervor, es ist eine Giraffe. Auf die Giraffe folgen Hase, Eisbär, Affe und Hahn.

Zu viel von allem
Die Tierwelt hat mit dem Krieg in unserer Vorstellung wohl so wenig zu tun wie die Märchenwelt. Doch Mokhallad Rasem und seine Truppe belehren uns eines Besseren: Während des Krieges seien viele Tiere in Bagdads Strassen wild herumgelaufen. Affen sassen in den Bäumen, welche die Gehsteige säumten. Elephanten stampften plötzlich über die Kreuzung. Absurd? Natürlich. Mokhallad Rasem will uns in den 100 Minuten von «Iraqi Ghosts» auch nicht den Krieg näherbringen. Sondern seine Absurdität.

Die Vorstellung kennt kein Mass. Es ist zu laut, zu viel durcheinander, zu viel nebeneinander. Es sind zu viele Anfälle, Zusammenbrüche, Streitereien. Es wird zu viel Essen verschwendet, Parfüm versprayt, Wasser verschüttet. Es gibt zu viele Szenenwechsel, zu viele Sprachen, zu viel Tempo, zu viel Stille. Aber: Kennt denn der Krieg ein Mass?

Die Rollenverteilung
Nach der Tierszene führen die beiden Europäerinnen des Ensembles, Julia Clever und Sarah Eisa, in perfektem Deutsch, Englisch, Holländisch und Französisch durch den Rest des Stückes. Die beiden Frauen sind mal Ehefrau, dann Geliebte, dann Moderatorinnen und stets am Erklären und am Übersetzen. Die drei Iraker, Duraid Abbas, Ahmed Khaled und Mokhallad Rasem, übernehmen die Rollen, die sie tatsächlich innehaben: Die der irakischen Männer.

Trotz der Ernsthaftigkeit des Themas stellen sich die Iraker selbst mit Lockerheit und Ironie dar. Während sich die Frauen auf den Krieg vorbereiten, Vorräte einkaufen, den Bunker einrichten und die Verwandten anrufen, sind die Männer am Rauchen. Wenn die Frauen einen Nervenzusammenbruch erleiden, weil der Krieg bevorsteht, sind sie am Essen. Und im Krieg selber, nun, da inszenieren sie sich auf einem roten Teppich, einem Laufsteg gleich.

Was bedeutet Krieg für dich?
Die Inszenierung gipfelt nach den drei Akten «vor, nach und während dem Krieg», die auf drei verschiedenen orientalischen Teppichen vorgeführt werden, in einer Oscarverleihung. «What does war mean to you?», fragen die Frauen die drei Preisträger in ihrer Dankesrede. Die Iraker antworten mit Anekdoten aus der Kindheit. Und mit Sätzen wie «dank dem Krieg kann ich heute hier stehen» und «dank dem Krieg werde ich heute Applaus erhalten».

Weniger Kitsch, mehr Konzept
Das Fehlen eines tatsächlichen Konzeptes bekommt der Vorstellung leider nicht allzu gut. Das ist zwar sehr wohl beabsichtigt und bewusst verstörend, aber durch die vielen Rollenwechsel, die abstrakten Bilder, die Ironie, die manchmal überhand nimmt und dann wieder ganz verschwindet, fehlt «Iraqi Ghosts» eine klare Linie. Das Publikum wird zu sehr sich selbst überlassen, und da es, wie in Zürich, mit dem «Krieg» wohl sehr wenig anzufangen weiss, auch etwas überfordert.

Etwas weniger Kitsch und dafür mehr starke Bilder der Gruppe selber täten dem Stück gut. Es braucht keinen Nirvana-Soundtrack bei der Schlussszene, ebenso wenig wie die lange Einstellung von Aladdin’s fliegendem Teppich, dicht gefolgt von einem Kanonenmeer. Dafür vergisst man das Atmen, wenn Duraid Abbas vor Angst zittert und die Augen weit aufreisst, oder wenn das Ensemble in der «Nachkriegsszene» mit ausdruckslosen Fratzen-Masken seine Körper verrenkt. Weil nichts ist, wie es mal war. Weil man nach dem Krieg nicht weiss, wer Freund, wer Feind ist. Und weil das doch alles Szenen aus dem Alltag sind. Wie Elephanten auf der Kreuzung.

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